Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nachtjaeger

Nachtjaeger

Titel: Nachtjaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. T. Geissinger
Vom Netzwerk:
kratzig an und roch modrig. Doch sie war auch dick und warm und reichte bis zu ihren Knien. Jenna sank auf die kalte Feuerstelle. Sie hatte das Gefühl, eine verlorene Pilgerin aus einem alten Märchen zu sein. Die Welt um sie herum kam ihr freudlos, seelenlos und kalt vor. Sie war ausgestoßen. Alle hatten sie verlassen. Nachdenklich sah sie sich in ihrem traurigen Zufluchtsort um. Die eingefallenen Wände, die bemoosten Steine, die Schatten, die Einsamkeit.
    So schäbig es hier auch war – es musste reichen. Sie plante, eine Weile hierzubleiben.

15
    Morgan sah mit zunehmender Verblüffung zu, wie Leander zum fünften Mal in vier Minuten die ganze Länge der Ostbibliothek entlangtigerte, auf dem Absatz kehrtmachte und wieder zurückging. Endlich blieb er neben einem stark gepolsterten Sessel stehen und ließ sich darauffallen. Er stützte die Ellenbogen auf die Knie und vergrub die Finger in seinen Haaren.
    Heilige Mutter Gottes, dachte sie fassungslos. Er dreht durch.
    Nach allem, was er bereits hinter sich hatte – die schrecklichen Kraft- und Geschicklichkeitstests, mit denen seine Gaben und seine Würdigkeit für den Titel des Alpha festgestellt wurden, die Qualen, die es bedeutete, ein Rudel widerspenstiger und wilder Tiere anzuführen sowie den schockierenden Tod seiner Eltern –, hatte er niemals die Fassung verloren oder sich auch nur andeutungsweise das Ruder aus der Hand nehmen lassen. Selbst denjenigen, die ihm am nächsten standen, zeigte er nie die leiseste Andeutung von Kontrollverlust.
    Und jetzt diese … Auflösung. Es war so undenkbar wie die Vorstellung, dass sich die Erde nicht mehr drehen würde.
    »Sie wird nicht lange weg sein, Leander. Sie hat ja gar nichts zu essen«, erklärte sie von ihrem Platz am Tisch aus. Sie lehnte sich zurück. Die geschnitzte Rückenlehne bohrte sich in ihre Haut, und sie fühlte sich nervös und angespannt. »Und keine Kleidung. Wie weit soll sie da schon kommen?«
    »Und außerdem ist ihr eine Armee der besten Jäger dieser Welt bereits auf den Fersen«, fügte Viscount Weymouth hinzu, der Morgan gegenübersaß. Die beiden tauschten einen Blick miteinander aus, als Leander sich nicht regte. Er starrte auf den Boden und ließ dann ein leises Stöhnen vernehmen – einen Laut, der Morgan einen kalten Schauder über den Rücken jagte.
    Er drehte wirklich durch.
    In den drei Tagen seit Jennas Flucht hatte sich die Nachricht ihres Verschwindens – bereits einen Tag nach ihrer lang erwarteten Ankunft – wie ein Lauffeuer in der ganzen Kolonie verbreitet. Die Tochter des begabtesten Alpha und berüchtigtsten Verbrechers ihrer Spezies hatte sich wie ein Geist in Luft aufgelöst.
    Ein Geist, der offensichtlich nicht beabsichtigte, jemals wiedergefunden zu werden.
    Gemeinsam mit einem Stab seiner begabtesten Wächter hatte Leander jede Ecke und jede Nische von Sommerley durchsucht. Sie waren überall gewesen: in jedem bekannten und weniger bekannte Versteck, in jedem Tal, auf jedem Hügel, auf allen Feldern, entlang des sich windenden Flusses, in allen Teilen des Waldes. Doch nirgendwo hatten sie auch nur den leisesten Anflug ihres Geruchs gefunden, der sie hätte zu ihr leiten können.
    Leander war auf Jenna eingestimmt. Er kannte ihren Geruch besser als alle anderen, aber auch er fand nichts von ihr – im Wald und auch nicht in der Nähe der Straße. Keine Spur von Jenna war zurückgeblieben, um ihm die Hoffnung zu lassen, dass sie noch in der Nähe war, dass man sie irgendwie noch dazu überreden könnte, zu bleiben.
    »Und was ist, wenn es noch jemanden dort draußen gibt, der nach ihr sucht?« Leander hob den Kopf und starrte durch die Bibliothek. Seine Augen funkelten wild. Um seinen Mund zeigten sich feine Linien, die am Tag zuvor noch nicht da gewesen waren – ein Ausdruck seiner nackten Angst, die er nicht mehr zu verbergen vermochte.
    »Sie ist allein, ohne Kleidung, ohne Waffen und ohne Essen. Verletzlicher geht es gar nicht mehr.«
    »Wir wissen nicht, ob die Grenzen von Sommerley bereits von den Expurgari durchbrochen wurden, Leander«, beruhigte ihn Viscount Weymouth. Er warf Morgan einen Blick zu, lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und nahm die Tasse mit dampfendem, schwarzem Kaffee, die vor ihm stand. »Wir haben noch keinen Beweis dafür. Falls sie in der Gegend sind, dann ist es sehr unwahrscheinlich, dass sie sich bereits innerhalb der Grenzen befinden. Wir haben so viele Wachen aufgestellt und ein Sicherheitssystem errichtet, das sich nicht

Weitere Kostenlose Bücher