Nachtjaeger
sie noch fassungsloser an als zuvor. Ihre Augen waren jetzt so geweitet, dass Jenna das Weiß der Augäpfel sehen konnte.
»Was?«
Morgan warf erneut einen Blick auf die Tür. Sie wirkte verwirrt. »Deshalb bist du in dem Supermarkt also in Ohnmacht gefallen? Bist du dir sicher?«
»Ja, bin ich. Ich habe es gespürt, bevor ich ihn überhaupt gesehen habe. Und als ich ihn dann schließlich sah, hat mich diese Energie umgeworfen. Damals habe ich noch so getan, als hätte es nichts mit ihm zu tun. Aber leider scheint das schon der Fall zu sein.«
Morgan gab einen Ton überraschter Belustigung von sich. Sie hielt die Hand vor den Mund, und Jenna bemerkte, dass sie ein Lächeln zu verbergen versuchte.
»Bitte, lass mich nicht raten, was du gerade denkst, Morgan. Ich habe keine Kraft für solche Spielereien«, bat Jenna.
»Ach, es ist nichts«, erwiderte sie leichthin und winkte ab. »Wirklich, es ist wahrscheinlich nichts.«
Jenna starrte sie an.
»Na ja, es ist nur so …« Morgan brach wieder ab und presste die Lippen aufeinander.
»Was?«
»Es ist nur so, dass eigentlich nur ein Alpha einen anderen Alpha auf diese Weise spüren, ihn von den anderen unterscheiden kann.« Sie kicherte, ein mädchenhafter, leichter Ton, der so gar nicht zu der Situation zu passen schien. »Und nur den Alpha, mit dem er zusammen ist.«
Jenna wünschte sich, nicht so müde zu sein. An jedem anderen Tag wäre sie wahrscheinlich in der Lage gewesen, Morgan bei einer solchen Bemerkung quer durchs Zimmer zu schleudern. »Wenn du noch einmal so etwas zu mir sagst, dann weiß ich nicht, was passieren wird.«
Morgan zuckte mit den Schultern und hob die Hände, als ob sie Jenna beruhigen wollte. Ihr Lächeln half jedoch nicht, Jenna das Gefühl zu vermitteln, dass diese Bemerkung völlig unschuldig gemeint war.
Es wurde wieder gegen die Tür gehämmert. Noch lauter als zuvor.
»Also gut. Wir haben noch etwa fünf Sekunden, bevor er die Tür eintritt. Ich kann es nicht länger ignorieren. Was soll ich ihm sagen?«
»Sag ihm, dass ich später zum Abendessen hinunterkomme – wenn es mir gestattet ist, zu Abend zu essen.« Sie lächelte freudlos.
Morgans Belustigung verschwand. Einen Moment lang betrachtete sie Jenna mit einer seltsamen, eindringlichen Aufmerksamkeit. »Das erlauben sie dir bestimmt. Was den Rest betrifft … Was man dir sonst gestattet oder nicht …«
Sie schürzte die Lippen. »Das hängt allein von dir ab.«
Jenna schloss die Augen und ließ ihre Haare über ihr Gesicht fallen. Morgan ging wieder zur Tür. Diesmal öffnete sie sie, trat in den Flur hinaus und schloss sie hinter sich. Wenige Sekunden später kam sie jedoch bereits wieder ins Zimmer gestürmt und warf die Tür hinter sich ins Schloss. »Jetzt sollte es funktionieren.«
Als Jenna die Augen öffnete, sah sie, dass Morgan mit verschränkten Armen am Fußende ihres Bettes stand. »Ich habe ihm einfach erklärt, dass du aus dem Fenster fliegst, wenn er nicht endlich mit dem Hämmern aufhört. Er würde dich dann nie wiedersehen.«
»Das war eigentlich auch mein Plan«, murmelte Jenna. Sie unterdrückte ein Gähnen und betrachtete das Kissen, die weiche Bettdecke und die Laken aus Satin auf der Matratze. Das weiche Bett rief sie wie der Gesang einer Sirene, einladend, verführerisch, sinnlich. Dieser Ort mochte vielleicht ein Gefängnis sein, aber zumindest war er nicht unbequem.
»Nun, kleiner Vogel. Du bist so lange zu Hausarrest verurteilt, bis dieser Fuß geheilt ist«, sagte Morgan.
Jenna war plötzlich wieder hellwach. »Warum?«
»Weil wir uns nicht verwandeln können, wenn wir verletzt sind. Selbst ein kleiner Schnitt hält uns bereits davon ab. Du kannst nirgendwohin, bis du wieder ganz gesund bist.«
Etwas in Jennas Bauch lockerte sich. In ihr erblühte eine kleine Blume der Hoffnung. Ein harmloser Schnitt wie dieser würde schnell heilen. Ein paar Tage, vielleicht eine Woche …
Sie wandte sich ab, damit Morgan die Überraschung in ihrem Gesicht nicht sah. Dann stand sie auf, wobei sie ihr Gewicht auf ihren rechten Fuß verlagerte, und humpelte über den weichen Teppich zum Badezimmer.
»Du willst mir also damit sagen, dass ich hierbleiben muss, bis das ganz verheilt ist?«, sagte sie über ihre Schulter hinweg.
»Ich will dir damit sagen, meine Liebe«, erwiderte Morgan mit neutraler Stimme, »dass du für immer hierbleiben musst.«
Jenna blieb ruckartig stehen. Langsam drehte sie sich zu Morgan um, wobei sie eine Hand ausstreckte,
Weitere Kostenlose Bücher