Nachtkalt: Psychothriller (German Edition)
folgend und den an der Wand lehnenden Wachmann ignorierend, zählte er die Sekunden mit und jede einzelne steigerte seine Erregung.
Diese Frau Doktor war eigentlich nichts Besonderes, aber er hatte ihre Angst schon vor fünf Jahren, bei ihrem ersten Händedruck, gerochen und dem konnte er kaum widerstehen. Wie alle Therapeuten wirkte sie vordergründig kontrolliert. Eigentlich sah sie ganz gut aus, was sie angesichts ihres hiesigen Klientels durch schlecht sitzende Kleidung verstecken wollte, doch gerade dadurch machte sie sich noch interessanter. Ja, sie gehörte eindeutig zu den Menschen, mit denen er seinen Neigungen eine gewisse Befriedigung verschaffen konnte. Er bezweifelte zwar, dass sie lange durchhalten würde, aber vielleicht konnte sie ihn eines Tages überraschen.
Der Sekundenzeiger sprang auf die Zwölf und als sich auch der kleinere, dicke Zeiger auf der Neun eingependelt hatte, öffnete sich die Tür neben seinem Stuhl. Auf ein Zeichen von Aufseher Schröder hin erhob sich Menzel und trat in den einfach eingerichteten Raum.
Frau Doktor, heute bekleidet mit einem viel zu großen Strickpulli und wirklich schlimm geschnittenen Jeans, stand neben dem Besprechungstisch und reichte ihm die Hand, welche er gespielt zögerlich ergriff und viel zu sanft drückte. Dann stammelte er fast unterwürfig: »Hallo, Frau Doktor, schön Sie zu sehen.«
»Kann ich gehen?«, fragte Schröder hinter seinem Rücken und Frau Dr. Bernau deutete ein Nicken an, anschließend schloss sich die Tür.
»Bitte, Herr Menzel, setzen Sie sich doch.« Ihre Geste galt dem Stuhl neben dem ihren, doch Menzel nahm bewusst gegenüber von ihr Platz, um wenigstens den kleinen Tisch zwischen ihr und sich selbst zu haben. Gerade jetzt wollte er nichts mehr riskieren und er wusste, dass er sich keine halbe Stunde lang unter Kontrolle haben würde.
Frau Dr. Bernau nahm ebenfalls Platz, lächelte ihn an, als hätten sie gemeinsam etwas Großes erreicht, und begann: »Ich freue mich sehr, Ihnen zu Ihrer heutigen Entlassung gratulieren zu können. Wir haben in den letzten Monaten viel erreicht und ich konnte dieser Entlassung von ganzem Herzen zustimmen.« Dann folgte ein Monolog, der sich über geschlagene zehn Minuten hinzog, ihm allerdings viel Zeit für seine Phantasien ließ. Er nahm jedes Detail ihrer Mimik und Gestik in sich auf, stellte sich vor, wie sie auf Schmerz und Angst reagieren würde und konnte dabei nicht anderes, als seine Hand unter den Tisch sinken zu lassen.
Irgendwann endeten ihre Mahnungen und Vorschläge, wie er sich in Freiheit zurechtfinden könnte, und es folgte die Frage: »Haben Sie Angst, nach zehn Jahren da rauszugehen?«
Er brauchte einen kurzen Moment, um seinen Geist wieder auf die einstudierte Bahn zu lenken, durch die man ihn für einen unbeholfenen, harmlosen Mann hielt, dann sah er sie verschüchtert an und sagte: »Natürlich habe ich mir gerade in den letzten Tagen viele Gedanken darüber gemacht.« Seine Stimme stockte und er tat so, als müsste er nach den richtigen Worten suchen, bis er fast schon stammelnd sagte: »Es würde mir eine gewisse Sicherheit geben, wenn ich wüsste, dass ich Sie erreichen kann, wenn ich ein Problem habe«, nun sah er sich gespielt in dem Raum um, »ich weiß ja nicht, ob das hier möglich ist, aber könnte ich Sie vielleicht telefonisch kontaktieren, wenn ich einen Rat brauche?«
Nun war es Frau Doktor, die kurz nachdenken musste, nach einer Weile aber die Lippen zusammenkniff und sich erhob. Nachdem sie einige Schubläden ihres Schreibtisches durchsucht hatte, kehrte sie mit einer Visitenkarte zurück zum Tisch und überreichte ihm diese mit den Worten »Ihr Wunsch ist ungewöhnlich, die meisten hier sind froh, mich nicht mehr sehen zu müssen, aber das bestätigt meinen Eindruck von Ihnen. Sie wollen Ihr Leben wirklich in den Griff bekommen und natürlich können Sie gerne in meine Praxis kommen, wenn es Ihnen nötig erscheint.«.
Alleine das Gefühl der kleinen Visitenkarte zwischen seinen Fingern reichte für einen weiteren Höhenflug und doch schaffte er es, seinen Geschichtsausdruck aufrechtzuerhalten, der aussah, als hätte er gerade ein Weihnachtsgeschenk bekommen. Ehrfürchtig sagte er leise: »Danke, das bedeutet mir sehr viel.« Nun fiel sein Blick auf ihre Armbanduhr, wodurch er erschrocken feststellte, dass er nur noch fünf Minuten hatte, um wieder runterzukommen. Möglichst beiläufig wechselte er zu einem Thema, bei dem er auf andere Gedanken kam,
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