Nachtklinge: Roman (German Edition)
nicht unbemerkt blieb.
Nero und der kleine Drache brachten Alexa Neuigkeiten vom Tag- und Nachthimmel. Um diese Neuigkeiten zu verstehen, musste sie sich in ihre Helfer hineinversetzen und mit ihren Augen sehen. Das erforderte einige Konzentration, niemand durfte sie stören.
Der kleine Drache erinnerte sich an alles, was er gesehen hatte, auch wenn sie seinen Flug nicht begleitet hatte. Seine Erinnerungen waren lückenlos, als hätte sie alles mit eigenen Augen beobachtet. Wenn sie ihre Stirn an die der Echse legte, erfuhr sie, was sie in der Jadeschale nicht hatte sehen können. Dieses zusätzliche Augenpaar erwies sich als großer Vorteil.
Es war schmeichelhaft, aber auch ein wenig besorgniserregend, dass der Khan der Khans ihr zwei so wertvolle Geschenke gemacht hatte, und je deutlicher sie den wahren Wert seiner Gaben erkannte, desto größer wurde ihre Sorge. In der ersten Woche war Alexa von dem unaufhörlichen Strom der Erinnerungen, den die beiden Flugtiere ihr übermittelten, zu überwältigt gewesen, um sich Sorgen zu machen.
Nun beschäftigte sie die Frage, wie sie es fertigbringen sollte, das Tier bei Roderigos nächstem Treffen unbemerkt an Bord des byzantinischen Schiffs zu bringen.
Schließlich entschied sie sich für die einfachste Lösung. Als Roderigos Boot beidrehte, landete der kleine Drache in der Takelage der Galeere und beobachtete die Vorgänge an Deck. Als zusätzlichen Schutz hatte sie Amulette um den Hals des Tiers geschlungen.
Als die Echse wiederkam, las Alexa ihre Erinnerungen. Die byzantinische Galeere lag bewegungslos im Wasser, obgleich die anderen Boote in der Lagune auf den Wellen schaukelten. Die Segel hingen schlaff herab, während diejenigen auf Roderigos eigenem Boot munter in der nachmittäglichen Brise flatterten. Roderigo war allein und unbewaffnet an Bord gekommen. Niemand schien eine Waffe auf ihn zu richten.
Vielleicht schätzte Andronikos Venedig als feige und Roderigo damit als ungefährlich ein. Vielleicht überstieg es auch einfach seine Vorstellungskraft, dass jemand den Sohn des Kaisers angreifen könnte. Alexa wünschte sich für einen Augenblick, sie hätte Alonzos Vorschlag, Roderigo solle den jungen Nikolaos töten, zugestimmt. Sei es auch nur, weil dadurch gleichzeitig einer der mächtigsten Getreuen des Prinzen ausgeschaltet worden wäre.
Andronikos war sichtlich erheitert über Roderigos Nervosität.
Seine Heiterkeit hielt freilich nicht lange an. Als Roderigo erklärte, man müsse, wenn man dem byzantinischen Prinzen Quartier gewähre, auch den deutschen Prinzen aufnehmen, schäumte Andronikos vor Wut.
»Ich untersage es Euch, die beiden Namen in einem Atemzug zu nennen.«
In Alexas Ohren klang das wie ein Befehl. Roderigo musste spätestens jetzt verstanden haben, dass Andronikos weit mehr war als ein prinzlicher Hauslehrer.
»Haben die Deutschen sich denn wirklich für Sigismund entschieden? Nein, sie haben seiner Wahl lediglich aus Feigheit zugestimmt. Was für ein Mandat hat ein Herrscher, den drei Erzbischöfe und fünf Prinzen gewählt haben? Der Basileus hingegen wird seit über tausend Jahren von Gott selbst zum Herrscher ernannt.«
Erst nach jahrhundertelangem Hadern hatte Byzanz das Heilige Römische Reich überhaupt als rechtmäßig anerkannt. Andronikos' Zorn verrauchte jedoch, als Roderigo erklärte, wo Nikolaos stattdessen untergebracht werden sollte.
»In Prinzessin Giuliettas eigenem Haus?«
»Ja, Graf.«
»Wirklich?«, ließ sich eine neue Stimme vernehmen. »Das Haus von Leopold zum Bas Friedland?«
Nikolaos hatte das Gespräch also verfolgt und war nicht, wie Alexa gedacht hatte, ausschließlich damit beschäftigt gewesen, seine Rüstung zurechtzurücken.
Junge, attraktive Männer wie Nikolaos, eingebildet und sich ihrer Anziehungskraft genau bewusst, waren Alexa schon oft begegnet. Manche versteckten ihre heimliche Vorliebe für Männer hinter einer gewalttätigen Frauenverachtung. Alexas eigenes Volk war in dieser Hinsicht pragmatischer.
Anda,
die Blutsfreundschaft, gestattete jungen Männern eine leidenschaftliche Freundschaft. Sogar Khan Dschingis war innig mit seinem Jugendfreund Jamukha verbunden gewesen.
»Jawohl, Hoheit, in Prinz Leopolds früherem Haus.«
»Dann nehmen wir das Angebot an.«
Der dünne Mann setzte zwar eine verdrossene Miene auf, nickte dem Prinzen aber zu.
»Ich werde in Leopolds Bett schlafen«, erklärte Prinz Nikolaos.
»Hoheit, darin schläft vermutlich Prinzessin Giulietta.«
»Sie
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