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Nachtklinge: Roman (German Edition)

Nachtklinge: Roman (German Edition)

Titel: Nachtklinge: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jon Courtenay Grimwood
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häufig Trost im Glauben. Daraufhin gerieten sie erst recht aneinander, der Zorn war heftig, aber er hatte ihre Liebe zueinander nicht erschüttert.
    Zum ersten Mal dachte sie an Leopold, ohne zu weinen. Giulietta verriegelte die Tür, kroch unter die weißen Laken und schlief auf der Stelle ein.
     
    Rosalie wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. Zu ihrer Verwunderung hatte der Priester ein langes, schweres und glückliches Leben geführt. Blauer Himmel, lange Sommer, kalte Winter, manchmal Hunger und manchmal Überfluss.
    Sie schmeckte ein ihr unbekanntes, zufriedenes Leben in diesen Erinnerungen, Minute für Minute. Entsetzt stellte sie fest, dass sie weinte, und ihr Entsetzen wuchs noch, als sie begriff, dass sie sich mit einem Mal menschlicher fühlte als damals, als sie noch gelebt hatte.
    Ob Tycho etwas Ähnliches fühlte?
    War das der Grund, warum er seinen Hunger so grimmig unterdrückte?
    Weil diese Erinnerungen seinen Zorn milderten?
    Rosalie fragte sich, ob sie den Tod des Mannes bereuen sollte, sah aber keinen Sinn darin. Der alte Mann hätte ohnehin keinen weiteren Winter überstanden. Außerdem musste sie selbst überleben.
    Zeit nach Hause zu gehen.
    Kurz darauf hatte sie den Rand des Dorfes erreicht, dann den Hafen von Monfalcone. Sie schlug einen Bogen um Görz und glitt unterwegs an dem Boten vorbei, den Prinzessin Giulietta zu Roderigo geschickt hatte. Er quälte sich keuchend die letzte Strecke nach Alta Mofacon hinauf.
    Der Mann bemerkte sie nicht, wohl aber derjenige, der ihn beobachtete.
    Tycho stand in einem Apfelhain. Sein Haar glänzte silbern, und auf seinen Lippen lag ein rätselhaftes Lächeln. Rosalie kam es vor, als wisse er genau, wo sie gewesen war und was sie gedacht hatte.
    »Dein Kleid starrt vor Dreck.«
    Das klang eher nach einer Feststellung, und sie wartete, was er noch zu sagen hatte.
    »Wasch dich.«
    »Meister.«
    »Nimm Sand, wenn du kein Wasser erträgst. Und hör endlich auf, mich Meister zu nennen.«
    »Ja, Meister.«
    Sie spürte seinen Blick im Rücken, als sie den Hang hinunterstapfte und eine kleine Lawine aus Kies und Schotter auslöste. Als er ihr kurz darauf folgte, löste sich kein Steinchen. Unter ihnen lag ein ausgetrocknetes Flussbett.
    »Zieh das Kleid aus.«
    Sie gehorchte und fragte sich, ob er sie nun doch nehmen würde.
    Natürlich hatte sie schon mehrere Liebhaber gehabt, aber es wäre das erste Mal mit ihm und das erste Mal seit sie … Rosalie holte tief Luft. Noch hatte sie keinen Namen für das, was mit ihr geschehen war.
    Tycho beschränkte sich jedoch darauf, ihr Kleid so heftig auszuschütteln, dass es wie eine Peitsche knallte. Er schlug es mehrmals mit voller Wucht gegen einen Stein und spülte es hastig in einem Rinnsal aus, das den Hang herabrieselte. Schließlich wrang er das Gewand so fest aus, dass einige Nähte platzten.
    »Haben dich die Läuse nicht gestört?«
    Welche Läuse?,
dachte sie und hörte ihn seufzen. Ohne recht zu wissen, warum, krabbelte sie in das Kleid, das er ihr zuwarf.
    »Hast du dich gesättigt?«
    Sie nickte.
    Er nahm ihr Handgelenk und biss zu. Seine Hundefänge waren scharf wie Pfeilspitzen. Er trat zurück und prüfte den Geschmack.
    »Reichhaltig.«
    Vermutlich meinte er damit das Leben, das sie genommen hatte. Er biss in sein eigenes Handgelenk. »Jetzt bist du dran.«
    Rosalie packte gierig seine Hand und schnappte kurz darauf nach Luft. Ein ungeahntes Farbschauspiel brachte die Hügel ringsum zum Leuchten. Sie hatte nicht einmal gewusst, dass es so viele Farben gab.
O Mann,
dachte sie.
Ich hatte keine Ahnung, welche Wirkung ein Trunk auf Tycho hat. Das geht weit über meinen Horizont.
    Sie konnte plötzlich meilenweit sehen, vernahm das Flattern winziger Fledermausflügel, hörte eine Füchsin drei Täler weiter durchs Gebüsch schnüren. Die Düfte, die der Wind mit sich führte, rankten sich umeinander wie leuchtende Fäden. Für eine Sekunde nahm sie alles mit Tychos Augen wahr. Sie sah ihn mit großen Augen an und machte einen Knicks.
    Er fragte sich offensichtlich, ob die Geste spöttisch gemeint war.
    Er musste doch wissen, dass sie das jetzt nicht mehr wagen würde. Sie drehte sich um und stürmte den Hang hinauf zu der weiß getünchten Mauer, die Alta Mofacon umgab.
    Ihre Bedürfnisse waren einfach: seine Anerkennung und ausreichend Nahrung. Tycho sorgte zwar dafür, dass sie keinen Hunger litt, verriet aber nicht, wie sie seine Anerkennung erlangen konnte. Vielleicht hatte sie Josh nur

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