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Nachtklinge: Roman (German Edition)

Nachtklinge: Roman (German Edition)

Titel: Nachtklinge: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jon Courtenay Grimwood
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durch einen Mann ersetzt, der freundlicher, aber auch gefährlicher war.
    Josh war ihr erster Liebhaber gewesen. Es hatte ihn nicht gekümmert, dass sie fast noch ein Kind gewesen war. Er hatte ihr Essen besorgt und eine Unterkunft. Die Anerkennung, nach der sie sich sehnte, hatte er ihr jedoch versagt. Nun war Josh tot, und sie selbst war …
    … irgendwie nicht tot.
    Obgleich sie sich an ihren eigenen Tod erinnerte, an ein panisches Entsetzen, das ihr Mark gefrieren ließ. Ein Schlag gegen die Brust und kalter Stahl, der ihr zwischen die Rippen glitt. Die Nacht war verblasst, und Tychos Gesicht war vor Kummer verzerrt, weil er ihr nicht hatte helfen können.
    In die Stadtmauer von Mofacon waren Kornkammern eingelassen. Sie hörte die Ratten darin rascheln. Der Torwächter lieferte sich ein hitziges Wortgefecht mit seiner Frau und musste nach einer Weile zugeben, dass er sich getäuscht hatte. Sein unterwürfiger Tonfall erinnerte Rosalie an jemanden.
    Einen Moment später begriff sie, dass er sie an sich selbst erinnerte.
    Die schrillen Stimmen eines anderen Ehepaars waren ebenfalls zu hören, aber sie klangen nicht so bitter und hasserfüllt. Noch während Rosalie die Ohren spitzte, ging das Streitgespräch in Lustschreie über.
    Verwirrt drehte sich ein streunender Hund zu ihr um, eine Katze machte einen Buckel. Ein Neugeborenes wimmerte, ein Mädchen unterdrückte einen Schrei. Der Nachtwind strich durch Zweige und hohes Gras in den leeren Gärten. Sogar die Luft schien anders zu riechen.
    Nun gefiel es Rosalie doch hier.
    Als sie sich von der Mauerkrone zu Giuliettas Anwesen hinüberschwang, löste sich ein Stein.
    »Was war das?«
    »Was war was?«
    Die beiden Nachtwachen begannen eine fruchtlose Diskussion. Rosalie krallte sich in Lücken und Rissen im Mauerwerk fest und kroch an der Hauswand empor. Sie landete leichtfüßig auf einem Vorsprung, schlich vorsichtig zu einem offenen Fenster und schwang sich vom Sims in den Korridor über der großen Halle. Hinter einer Tür waren das Brabbeln eines Säuglings und das Schnarchen einer Frau zu vernehmen. Der säuerliche Schweiß all der Menschen füllte die Luft, die in der Halle auf ihren Strohlagern schliefen.
    »Du da«, sagte jemand.
    Rosalie drehte sich um.
    Ein Mädchen blickte sie entgeistert an, die Hand erschrocken vor den Mund gelegt.
    Wahrscheinlich weil sich Rosalie so schnell bewegt hatte. Das Mädchen trug ein knielanges Nachthemd, ihre Füße und Knöchel waren sauber. »Was machst du hier oben?«
    Hübsch, dachte Rosalie und fragte sich, ob sie wohl das Mädchen oder ihr besticktes Nachthemd meinte.
    »Antworte mir«, sagte die Fremde.
    »Warum?«
    Das Mädchen lief rot an.
    Rosalie spürte ihr Blut unter der Haut pochen. So jung, so lieblich, so rein – so vollkommen anders als Rosalie selbst.
    »Komm mit mir …« Das Mädchen streckte ihr eine Hand entgegen.
    Wie bitte?
Rosalie war verblüfft.
    »Wenn sie dich hier finden, wirst du ausgepeitscht.« Das fremde Mädchen nickte zu einer angelehnten Tür hinüber. »Ich heiße Eleanor. Dort drüben ist mein Zimmer.«
    Zu ihrer maßlosen Überraschung stellte Rosalie fest, dass sie diesem Mädchen nichts tun wollte. Es war eine neue Erfahrung, ein plötzlicher Riss in ihrem Schutzpanzer. »Ich heiße Rosalie.«
    »Bist du hungrig?«
    Rosalie schüttelte den Kopf. »Ich habe mich schon gesättigt.«
    Das Mädchen runzelte die Stirn, öffnete die Vorhänge und warf einen prüfenden Blick in den Hof.
    »Du bist durch das
Fenster
hereingekommen.«
    »Ich kann gut klettern.«
    »Vielleicht sollte ich doch lieber die Wache rufen«, überlegte das Mädchen laut. »Aber dann peitschen sie dich aus, und das ist überhaupt nicht lustig. Vielleicht erzähle ich Giulietta morgen früh von dir.«
    Das Zimmer war riesig, und auf dem Bett lagen zwei Matratzen übereinander. Fünf weiße Kerzen brannten in silbernen Haltern. Fünf weiße, keine gelben, übel riechenden wie sie normale Leute benutzten, wenn sie sich überhaupt Kerzen leisten konnten.
    »Du bist schmutzig.«
    Eine sachlich vorgebrachte Feststellung. Dabei war Rosalie, die sich mit Sand abgeschrubbt hatte, so sauber wie lange nicht mehr.
    »Und dann dieses … Kleid.« Eleanor fragte sich offensichtlich, ob der Fetzen, den Rosalie trug, diese Bezeichnung verdient hatte. Merkwürdig, aber die Art, wie sie sich ausdrückte …
    »Kennst du die Dogaressa?«, fragte Rosalie.
    »Woher weißt du das?«
    »Du sprichst wie sie.«
    »Kennst du sie

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