Nachtkrieger: Unendliche Sehnsucht: Roman (Knaur TB) (German Edition)
auszuschütteln. »Es muss schon vorher hinuntergefallen sein. Ich werde dort suchen, wo Ihr entlanggegangen seid.«
»Später. Versuch lieber, das hier zu befestigen.«
Lucy sah sich das komplizierte Flechtwerk an, das den Kopf ihrer Cousine zierte. »Ich weiß nicht recht, ob ich das kann. Miriam hat es heute anders gemacht als sonst, und ich kann Anfang und Ende der Zöpfe nicht sehen.«
»Versuch es, bevor sie sich vollständig auflösen.«
»Jawohl, Mylady.« Lucy nahm ein anderes Band aus dem Korb, legte es sich über die Schulter und begann, die einzelnen Zöpfe zu entwirren, während Eleanor wippte, so wie sie es immer tat, wenn sie glücklich war. Leider hatte Lucy, was die Ursache dessen betraf, bereits eine Vermutung – und das war gar nicht gut. »Ich werde sie ein Stück weiter aufmachen. Aber das wäre leichter, wenn Ihr still stehen würdet.«
»Tut mir leid. Ich werde mir Mühe geben.« Eleanor stellte sich fest auf beide Füße.
Lucy teilte die einzelnen Stränge zwischen ihren Fingern und machte sich daran, sie erneut zu flechten. Schließlich schienen sie wieder fest geflochten zu sein, doch als sie die andere Seite betrachtete, um das Resultat damit zu vergleichen, wollte es nicht recht dazu passen. Während Eleanor wieder auf den Zehen wippte, machte Lucy die Zöpfe erneut auf und begann noch einmal von vorn. Sie führte einen Strang zu einer Seite, dann den anderen zur anderen Seite, ohne das gewünschte Resultat. »Das geht nicht.«
»Dann mach sie wieder auf und hol Miriam. Bald wird zum Abendessen geblasen.«
»Und Ihr werdet bald verheiratet sein.« Lucy klappte den Mund wieder zu. Sie hatte nicht vorgehabt, dies laut zu sagen.
Der Zopf wurde Lucy aus der Hand gerissen, als ihre Cousine sich hastig zu ihr umdrehte. »Halt! Wir werden nicht noch einmal damit anfangen.«
So eine dumme Bemerkung, aber nun, da sie davon angefangen hatte, konnte sie das, was sie sagen wollte, ebenso gut beenden.
»Ich glaube, das müssen wir aber, Mylady, und zwar so lange, bis Ihr bereit seid, mir zuzuhören. Ihr und Sir Gunnar könnt nicht …« Lucy unterbrach sich, nicht sicher, wie sie ihre Vermutung benennen sollte. Sie war sich nicht einmal sicher, ob die verschwommene Erinnerung daran, dass ihre Cousine irgendwann im Morgengrauen über sie hinweg wieder ins Bett geschlüpft war, der Wirklichkeit entsprach oder nur ein Traum gewesen war. »Weiß er, dass Ihr bereits jemand anderem versprochen seid?«
Eleanor errötete. »Dieses Thema ist noch nicht zur Sprache gekommen.«
»Dann solltet Ihr aber darauf zu sprechen kommen.«
»Aber er wird … Er wird nicht …« Eleanor holte tief Luft und begann erneut. »Er ist ein ehrenhafter Mann und er …«
»Woher wollt Ihr das wissen?«, fragte Lucy.
»Was?«
»Woher wollt Ihr wissen, dass er ehrenhaft ist?«
»Er hat uns doch aus dem Feuer gerettet.«
»Darüber bin ich ebenso dankbar wie Ihr. Aber das beweist nur seinen Mut, nicht seine Ehrenhaftigkeit. Woher wisst Ihr, dass er ehrenhaft ist?«
»Ich weiß es eben.« Eleanor tippte sich auf den Bauch. »Denn wenn ich ihm in die Augen sehe, dann kann ich es fühlen, hier.«
Lucy zog eine Augenbraue hoch. »Eine seltsame Stelle, um jemandes Ehrenhaftigkeit zu spüren. Und dann wolltet Ihr seiner Ehrenhaftigkeit mit einer Lüge begegnen?«
»Ich habe nicht gelogen.«
»Eine unausgesprochene Wahrheit ist das Gleiche wie eine Lüge.«
»Du klingst ja wie ein Priester.« Eleanor verzog mürrisch das Gesicht.
»Ich fürchte, genau den werdet Ihr brauchen «, gab Lucy zurück. »Ich an Eurer Stelle würde jedenfalls, wenn ich schlau wäre, schleunigst einen bestellen. Warum habt Ihr Sir Gunnar nicht gesagt, dass Ihr verlobt seid?«
»Weil, wenn er es wüsste, er sich wahrscheinlich wieder einmal als ehrenhaft erweisen und fortreiten würde.« Eleanor starrte über Lucy hinweg auf einen unbestimmten Punkt in der Ferne. »Und ich will nicht, dass er fortreitet. Jedenfalls nicht ohne mich.«
»Ihr werdet Euch doch nicht noch immer einbilden …« Lucy, deren Stimme einen ungläubigen Ton angenommen hatte, sank erstaunt aufs Bett. »Schon vor vier Jahren war es doch bloß eine Phantasterei. Nun ist es eine geradezu gefährliche Verrücktheit. Wenn Ihr wirklich mit ihm auf und davon reitet, wird Euer Vater Euch aufspüren und Sir Gunnar vor Euren Augen strecken und vierteilen lassen.«
»Nein.« Kopfschüttelnd presste Eleanor die Hände gegen ihre Schläfen, um diese grausame Vorstellung zu
Weitere Kostenlose Bücher