Nachtkrieger: Unendliche Sehnsucht: Roman (Knaur TB) (German Edition)
möglicherweise diejenige.
Eleanor musste ihren Vater wohl überzeugt haben, denn am nächsten Abend wurde nach dem Essen getanzt.
Gunnar hatte schon vergessen, wie viel Freude Tanzen bereitete. Die Musik. Die Fröhlichkeit. Die Frauen.
Ganz besonders die Frauen.
Nie zuvor hatte er an einem einzigen Abend so viele Frauen berührt, nicht in seinem ganzen verfluchten Leben. Zugegeben, es war nur die Berührung ihrer Hände oder das zufällige Streifen eines Schleiers oder Rockes im Vorübergleiten, doch das war mehr als ihm für gewöhnlich an Freude zuteil wurde. Und das Beste an allem war, dass die Berührungen freiwillig geschahen. Sonst musste er in den meisten Fällen dafür zahlen, dass eine Frau ihn berührte, sich ihre Gunst mit einer gewissen Menge Silber oder zumindest mit einer schön klingenden Lüge erkaufen. Diese Frauen aber berührten ihn aus keinem bestimmten Grund, abgesehen vom Tanzen, und jede einzelne von ihnen schien ihm verlockender als diejenige zuvor.
Am verlockendsten von allen jedoch war Eleanor.
Seine Sinne wurden vollkommen von ihr gefangengenommen, reagierten wachsam auf jede Bewegung und jedes Lachen, auf jedes Streifen ihrer Zöpfe, selbst wenn es am anderen Ende der Halle war. Und während er sich ein wenig unbeholfen durch die wenigen einfachen Schritte und Drehungen des Tanzes hindurchmanövrierte, die er sich im Lauf der Jahre angeeignet hatte, schwebte sie immer wieder hinein in seine Arme und wieder hinaus, genau wie alle anderen, und ließ dabei so wenig des Geschehens in der Nacht zuvor erkennen, dass er sich allmählich fragte, ob seine Erinnerung ihn nicht täuschte. Ein Traum. Er musste einen Moment lang eingenickt sein und alles nur geträumt haben.
Dann aber, als sie in einer Promenade vorüberschritt, als ihr Blick den seinen traf und sich unwillkürlich kurz auf das Holzgitter des Familienzimmers richtete, da wusste er es. Es war alles andere als ein Traum gewesen. Sie hatte ihn in der Nacht zu sich gelockt.
Und er hatte fortgehen müssen.
Möglicherweise dachte sie nun, er hätte sie verschmäht, dabei war er doch in Wahrheit nur gegangen, weil er es hatte tun müssen, damit er nicht vor ihr seine Gestalt wechselte. Verfluchte Sonne! Warum konnte sie nicht untergehen und unten bleiben?
Er musste die Sache in Ordnung bringen.
Die Musik trug sie fort zur nächsten Runde, aber als sie sie ihm wiederbrachte, war er bereit. Er nahm ihre Hand und führte sie um den Kreis herum.
»Letzte Nacht hatte ich einen Traum«, sagte er, während sie in die Mitte des Kreises schritten. »Kurz vor dem Morgengrauen.«
Ihre Augen weiteten sich kaum merklich, dann legten sich ihre Augenwinkel in Falten, denn sie hatte verstanden. »Ihr hattet einen Traum?«
»Aye.« Sie standen einander gegenüber, machten jeder einen Schritt zurück und wieder nach vorn. »In diesem Traum hat sich mir eine Elfe gezeigt, ein Nebelstreif, der die Gestalt eines Mädchens annahm.«
»Äußerst seltsam.« Mit vorgetäuschtem Desinteresse sah sie sich in der Halle um, als suche sie jemanden.
»Äußerst wundersam«, fuhr er leise fort und sah, dass sie errötete.
»Dieser Traum?«, fragte sie einen Augenblick später, als sie Schulter an Schulter nebeneinander standen. »Habt Ihr den zuvor schon einmal geträumt?«
»Nein, Mylady«, antwortete er, während sie umeinander herumgingen und in die Hände klatschten. »Aber ich hoffe, er sucht mich wieder heim.«
Sie schwebte davon, umkreiste Henry Percy und kam wieder zu ihm zurück.
»Früher«, sagte er. Er kam aus dem Rhythmus und machte seine Verbeugung um einen halben Takt später als die übrigen Männer.
Sie hob den Kopf und sah ihn erstaunt an, während er einen Schritt aufholte und sich ihre Schultern abermals berührten. »Was?«
»Ich sagte, ich hoffe, mein Traum ereilt mich des Nachts zu einer früheren Stunde, damit ich vielleicht voll und ganz …« Nun war er an der Reihe, davonzuschreiten und Eleanors Schwester Margaret zu umkreisen. Er ließ seine Worte in der Luft schweben, bis er wieder an Eleanors Seite war. »… in seinen Genuss komme, bevor ich aufstehen und fortreiten muss.«
»Oh.«
Noch eine Verbeugung, noch ein Knicks, und sie machte einen Schritt nach vorn auf Percy zu, während Margaret aus dem Hintergrund trat und an seiner Seite erschien. Sie kamen nicht noch einmal zusammen, bevor der Schlussakkord verklang.
Der Tanzmeister kündigte einen Tanz an, den Gunnar nicht kannte, und so brachte er rasch eine
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