Nachtkrieger
Dort würde er sie niemals finden.
»Wohin wollt Ihr, My Lady?«
Erschreckt fuhr Alaida herum und presste das weiche Leinen an die Brust. Hinter ihr schloss sich krachend der Deckel der Truhe, und sie erschrak abermals. »Oh.«
»Ich werde Euch schon nicht beißen. Jedenfalls nicht nach einem solch reichhaltigen Mahl«, sagte Ivo amüsiert. Zorn stieg in Alaida auf. Zweimal hatte er sich bereits über sie lustig gemacht, und das innerhalb weniger Stunden.
»Ihr habt mich erschreckt,
Monseigneur,
weiter nichts. Ich habe nicht gehört, wie Ihr hereinkamt.«
»Ihr stecktet ja auch mit dem Kopf tief in dieser Truhe.«
Aus seiner Perspektive musste das zweifellos ein erheiternder Anblick gewesen sein. Alaida legte das Gewand, das sie noch immer umklammert hielt, locker über den Arm und gab sich alle Mühe, nicht allzu peinlich berührt zu wirken. Oder gar ertappt. »Kann ich etwas für Euch tun, My Lord?«
»Ja, Ihr … könntet meine Frage beantworten. Wohin wollt Ihr?«
»Nirgendwohin.«
»Seltsam.« Ivo bahnte sich einen Weg vorbei an den Schlafstellen der Frauen bis zum Fußende des großen Kastenbetts, auf dem ein Stapel ordentlich gefalteter Kleidung neben einer Holzschatulle lag. Er nahm den Zipfel eines Kleides hoch und fuhr über den bestickten Saum, öffnete dann den Deckel der Schatulle und nahm den silbernen Gürtel heraus, der zuoberst lag. »Mir scheint, Ihr wollt auf Reisen gehen.«
»Ich wollte nur meine Sachen forträumen.« Alaidas Herz schlug so heftig, dass sie fürchtete, er könne es hören. »Das Gemach gehört nun Euch, wie alles andere hier«, sagte sie mit unverhohlener Verbitterung.
»Das ist vollkommen unnötig.« Ivo legte den Gürtel zurück. »Ich werde heute Nacht in der Halle schlafen.«
»Dann werde ich eben morgen …«
»Morgen werdet Ihr keinen Grund mehr haben, Eure Sachen fortzuräumen. Denn morgen werden wir verheiratet sein. Ich bin hier, um mit Euch darüber zu sprechen.«
»Es gibt nichts zu besprechen.«
»Ihr müsst wissen, dass der König mir Euch zusammen mit dem Land übereignet hat.«
»Der König? Dieser König ist …« Alaida fehlten die Worte, um ihrer Meinung über William Ausdruck zu verleihen. »Ich bin doch kein Stuhl, den man einfach weitergeben kann, damit irgendein Ritter in der Halle meines Großvaters bequemer sitzen kann.«
»Unsere Heirat wird meinen Besitzanspruch festigen«, räumte Ivo ein. Er strich über das grüne Leinen des Bettvorhangs. »Aber das ist nicht der einzige Grund, aus dem ich zu heiraten gedenke.«
Er ließ keine Zweifel an seiner Absicht, und Alaida wandte sich errötend ab. Besser gesagt, sie versuchte es. Denn sie konnte sich kaum bewegen, da ihr Kleid sich irgendwo verfangen hatte. Ihre Wangen glühten, als sie sah, dass sein Blick noch immer auf ihr ruhte. Sie griff hinter sich und versuchte, sich zu befreien.
»Aber ich gedenke nicht, das Gleiche zu tun«, sagte sie und zupfte nervös am Saum ihres Kleides. »Sucht Euch eine andere Frau, die Euch freiwillig heiratet. Vielleicht erwerbt Ihr dadurch noch mehr Land.«
»Mir reicht dieses.«
»Und Ihr besitzt es mit mir oder ohne mich. Was spielt es da für eine Rolle, ob ich fort …« Zu spät unterbrach sie sich.
Ivo hakte sogleich nach. »Ihr wolltet also tatsächlich fortgehen. Wohin?«
»Nirgendwohin«, wiederholte Alaida.
Mit finsterem Blick ging er auf sie zu. »Wagt es nicht, mich zu belügen, Frau! Also, wohin wolltet Ihr?«
Alaida zerrte an ihrem Gewand. »Das werde ich Euch nicht …«
Sie unterbrach sich und wich zurück, als er einen Arm nach ihr ausstreckte. Dabei stolperte sie über den Saum ihres Gewands und verlor das Gleichgewicht. Doch Ivo fing sie auf, legte seinen Arm um ihre Taille und zog Alaida an seine Brust.
Alaida erstarrte. Eine Weile sagten sie beide nichts. Sie sah, dass sein Zorn verflogen war, um einem wesentlich gefährlicheren Gefühl zu weichen. Sie wollte den Blick abwenden, aber sie fühlte sich magisch angezogen von seinen graublau funkelnden Augen, vom scharfen Geruch nach Schweiß und Eisen und nicht zuletzt von der Wärme seines Körpers, die sie durch Stoff und Panzer zwischen ihnen hindurchspürte. Oder war es ihre eigene Hitze? Sie hätte es nicht sagen können.
»Ihr habt Euch verfangen«, sagte er leise.
Er legte den freien Arm um sie und neigte den Kopf. In der Erwartung, dass er sie küssen würde, hielt Alaida den Atem an.
Doch nichts dergleichen geschah. Er beugte sich an ihrer Schulter vorbei und
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