Nachtkrieger
sich die Geschäftsbücher bringen. Gemeinsam mit Brand vertiefte er sich darin und stellte Alaida, Geoffrey und Oswald allerlei Fragen. Als er schließlich alle zu Bett schickte, war Alaida dermaßen erschöpft, dass sie in Schlaf sank, sobald ihr Kopf das Kissen berührte.
Doch selbst in ihren Träumen ließ der neue Lord sie nicht los, sondern verfolgte sie mit Küssen und mit Schreckensvisionen von brennenden Klöstern und geplünderten Dörfern. Als sie spät nach Mittag erwachte, wurde ihr bewusst, dass sie ihm nicht entkommen konnte, selbst wenn ihr ein anderer Zufluchtsort als ein Kloster eingefallen wäre.
Also schickte sie nach Bôte und Geoffrey und beauftragte sie, die Hochzeitsvorbereitungen zu veranlassen.
»Damit sind wir bereits beschäftigt, My Lady«, verkündete Bôte strahlend.
Geoffrey fügte erklärend hinzu: »Lord Ivo hat uns aufgetragen, alles erledigt zu haben, wenn er zurückkehrt.«
»Wenn er zurückkehrt?«
»Er ist vor dem Morgengrauen mit Sir Brand ausgeritten, My Lady. Er sagte, wir könnten ihn erst nach Sonnenuntergang zurückerwarten.«
»Dann wird er Euch heiraten«, sagte Bôte und fügte hinzu: »Obwohl ich nie zuvor von einer nächtlichen Hochzeit gehört habe. Eine solche Feier beginnt doch üblicherweise morgens. Dann gibt es beizeiten ein Festmahl. Merkwürdig!«
Mehr als das, aber nichts an ihrer Situation war normal.
»Er ist ausgeritten? Und er bleibt den ganzen Tag über fort?«
»So ist es, My Lady.«
»Er war die ganze Nacht wach. Dann reitet er in aller Herrgottsfrühe aus, um sein Landgut in Augenschein zu nehmen«, sagte Bôte. »Das eine sage ich Euch: Er wird uns ein guter Herr sein. Wir kommen ja ohnehin nicht darum herum, jemanden als solchen zu akzeptieren. Er wird Euch sicher auch ein guter Ehemann sein.«
Für einen kurzen Moment zog Alaida in Erwägung, sich auf den Weg nach Helenstowe zu machen, bevor der Lord zurückkehrte. Doch sie verwarf den Gedanken. Sie würde Alnwick und die Menschen, die dort lebten, nicht den Launen ihres neuen Herrn ausliefern – ebenso wenig, wie sie weiter untätig herumsitzen würde, um sich Bôtes Lobeshymnen auf ihn anzuhören.
»Geht euren Pflichten nach. Ich mache unterdessen einen Spaziergang.« Mit diesen Worten griff Alaida nach ihrem Beutel und nahm ihren Umhang vom Haken.
»Draußen ist schlechtes Wetter, My Lady. Kälter als eine Hundeschnauze«, sagte Bôte. »Ihr werdet Euch einen Schnupfen holen.«
»Dann muss ich das Ehegelöbnis wohl niesend sprechen.«
»Ihr solltet noch ein paar Vorbereitungen treffen«, meldete sich Hadwisa zu Wort. »Wisst Ihr bereits, welches Kleid Ihr tragen wollt?«
»Großer Gott! Das ist mir gleich«, gab Alaida zurück und schlüpfte hinaus.
Von Zeit zu Zeit wünschte Ari, er könnte auch tagsüber ein Rabe sein – im Moment zum Beispiel. Es wäre äußerst vorteilhaft, auf den Fenstersims der Lady hinaufzufliegen, um herauszufinden, welche Pläne sie schmiedete. Natürlich hätte er als Rabe nicht die Möglichkeit, sie von irgendetwas abzuhalten. Doch immerhin würde er erfahren, was sie vorhatte.
Ari wollte nicht so recht glauben, dass sie sich derart widerstandslos Ivar fügte, auch wenn die Hektik des Haushalts dafür sprach. Frauen hatten den Fußboden gereinigt und mit frischen und mit Rosmarin gemischten Binsen bestreut. Ein Reiter war nach Lesbury unterwegs, um den Priester zu holen, und Jungen hatten Äste und Ranken gesammelt, um die Halle damit zu schmücken. Man hatte neue Fackeln und Kerzen in ihre Halter gesteckt, bereit, entzündet zu werden, und die Tische, die Hohe Tafel wie die niederen Tische, bereits aufgebockt, bedeckte weißes Leinen, das ausreichte, um ein Segel für ein Drachenboot daraus zu machen.
All das war geschehen, seit Ari am späten Vormittag eingetroffen war – eine List, um Neugierige glauben zu machen, er sei aus Morpeth gekommen. Als er die Halle betreten hatte, schnarchten fast alle Männer noch, und die meisten gähnten auch jetzt noch.
Kein Wunder, so lange wie Ivo und Brand sie wach gehalten hatten. Angesichts der knappen Zeit, die ihm, Ari, und den anderen zur Verfügung stand, um in menschlicher Gestalt zu leben, hatten sie sich daran gewöhnt, mit wenig Schlaf auszukommen, und oft auch nur mit der Menge, die die Tiere brauchten, deren Gestalt sie annahmen. Vermutlich würden die Leute von Alnwick sich rasch an den Lebensrhythmus ihres neuen Herrn gewöhnen. Sie würden bis spät in die Nacht aufbleiben und am
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