Nachtkrieger
griff hinter sie. Sie hörte das Ächzen von Metall, und sie war befreit – wenngleich nicht von Ivo. Ohne seinen Griff zu lockern, beugte er sich wieder zurück.
»Euer Kleid war unter dem Deckel der Truhe eingeklemmt«, erklärte er.
»Ha …« Sie schluckte, kaum fähig, etwas zu sagen. »Habt Dank, My Lord.«
»Und nun frage ich Euch noch einmal: Wohin wollt Ihr?«
»Nir …« Er umfasste sie ein wenig fester, gerade genug, um keine Zweifel daran zu lassen, dass sie ihm nichts entgegenzusetzen hatte. »In ein Kloster.«
»Ich kann mir kaum eine Frau vorstellen, die weniger für das Leben als Nonne geeignet scheint.«
»Ihr wisst nichts von mir, geschweige denn, wozu ich fähig bin.« Alaida wollte sich aus seinem Griff befreien, aber ebenso gut hätte sie versuchen können, Ketten zu sprengen. »Ihr kennt mich doch überhaupt nicht. Lasst mich los!«
»Ihr werdet nirgendwohin gehen, Alaida. Findet Euch damit ab!« Er lockerte seinen Griff, hielt sie aber weiter so fest, dass sie gezwungen war, ihm in die Augen zu sehen. »Ich kenne Euch bereits gut genug, um zu wissen, dass Eure Zunge schärfer ist als die Peitsche eines Fuhrmanns. Ihr seid geistreich. In einem Kloster würdet Ihr Euch zu Tode langweilen. Und auch wenn Ihr es nicht zugeben werdet, so weiß ich doch, dass Ihr Euch fragt, warum ich Euch nicht geküsst habe und wie es gewesen wäre, wenn ich es getan hätte.«
»Ha! Ihr seid ebenso eingebildet wie Sir Neville.«
»Der Kerl, den ich rausgeworfen habe? Hat er Euch
geküsst?
«
»Nein«, sagte sie und verzog bei dem Gedanken das Gesicht.
»Gut«, sagte Ivo. Und dann küsste er sie, nur flüchtig, aber lange genug, um ihr Blut in Wallung zu bringen. Alaida gab sich alle Mühe, ihre Gefühle zu verbergen, doch an seinem Lächeln erkannte sie, dass er sich der Wirkung durchaus bewusst war.
»Ihr geht nicht ins Kloster«, sagte er.
Sie schwieg, und sein Lächeln schwand. Seine Gesichtszüge spannten sich an. Ihm war deutlich anzusehen, wie sehr er sich beherrschen musste, um seinen Ärger im Zaum zu halten. Mit gepresster Stimme sagte er schließlich: »Es wäre mein gutes Recht, Euch binnen der nächsten Stunde zur Frau zu nehmen. Ihr fordert mich gewissermaßen dazu heraus.« Er strich ihr mit dem Daumen über die Wange, als wolle er einen Schmutzfleck wegwischen. »Ich habe mir jedoch vor meiner Ankunft geschworen, Euch einen Tag Zeit zu lassen, um Euch mit dem Gedanken an die Heirat anzufreunden. Seht zu, dass ich meine Freundlichkeit nicht bereue. Denn ich beabsichtige nicht, die kommenden beiden Wochen damit zu verbringen, irgendein Kloster Stein für Stein niederzureißen.«
»Das würdet Ihr nicht wagen!«
»O doch. Und es wäre nicht das erste Mal«, gab Ivo mit düsterer Miene zurück. Alaida spürte, dass er es ernst meinte. »Ihr geht nicht ins Kloster«, wiederholte er. »Schwört es mir!«
Was für ein Mensch war das nur, der nicht einmal davor zurückschreckte, ein Kloster anzugreifen?
Die Antwort war nur allzu offensichtlich. Er war einer von Williams Gefolgsleuten. William, der ganze Grafschaften verwüstete, um seine Macht fühlbar zu machen. Wie weit würde de Vassy gehen, um seine Macht zu demonstrieren? Würde er seinen Zorn an dem Dorf auslassen? Plötzlich bekam Alaida Angst, und sie fügte sich – wenngleich sie sich ein Hintertürchen offen ließ.
»Ich gehe nicht ins Kloster«, sagte sie. Sicherlich gab es abgesehen von Klöstern andere Zufluchtsorte für eine Frau. Es musste sie einfach geben.
»Gut«, sagte Ivo zufrieden und ließ sie los. »Und nun begleitet mich. Ich möchte, dass meine Männer Euch an meiner Seite sehen, bevor sie sich schlafen legen.«
Das war nun wirklich das Allerletzte, wonach Alaida der Sinn stand. Aber es hatte keinen Zweck, Widerstand zu leisten. »Jawohl, My Lord.«
»Keine Widerrede?«, fragte Ivo argwöhnisch.
»Erst verlangt Ihr, dass ich mich füge, und dann stellt Ihr genau das in Frage«, beklagte Alaida sich aufgebracht. »Also wirklich, My Lord! Ihr solltet Euch entscheiden.«
»Ah, wir machen also weiter«, sagte Ivo und lachte in sich hinein. Er nahm Alaida an die Hand und führte sie hinunter in die Halle.
Dort saß sie bis nach Mitternacht neben ihm, während der Rest des Haushalts ihm seine Ehrerbietung erwies. Jeder sollte sehen, dass sie ihn als neuen Herrn anerkannte. Später, nachdem die Frauen sich in Alaidas Gemach zurückgezogen und die Männer ihre Nachtlager in der Halle aufgeschlagen hatten, ließ er
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