Nachtkrieger
Ari ein. »Er kann sehr unnachgiebig sein.«
»Zweifellos. Schließlich ist er einer von Williams Männern.«
»William ist der König. Alle Ritter und Edelleute sind seine Vasallen. Wenn nicht, sind sie bald keine Ritter und Edelmänner mehr.«
»So wie mein Großvater.«
»Ja, My Lady, so leid es mir auch tut«, sagte Ari, als er Alaidas betrübte Miene sah. »Wie Euer Großvater. Trotzdem ist Ivar anders als der König. Er hat keinen Spaß an kriegerischer Härte.«
»Ivar?«
»Wie bitte?«
»Ihr nanntet ihn gerade Ivar.«
Verflucht!
Ari hätte sich ohrfeigen können. Den ganzen Vormittag lang hatte er es geschafft, sich an den neuen Namen zu halten, und ausgerechnet im Beisein von ihr musste er sich versprechen …
Hastig legte er sich eine Ausrede zurecht. »In meinem Heimatdorf gab es einen alten Mann namens Ivar. Manchmal verwechsle ich die Namen.« Zur Erklärung fügte er hinzu: »Ich bin nämlich kein gebürtiger Normanne.«
»Ah, das erklärt einiges. Denn Ihr sprecht mit einem mir unbekannten Akzent. Auch wenn Ihr mit den angelsächsischen Bauern redet, klingt es ein wenig fremd. Wie bei Sir Brand.«
»Brand und ich stammen aus derselben Gegend.«
Mit dieser Erklärung schien Alaida zufrieden. Sie fragte weder, woher genau Ari und Brand stammten, noch nach Ivar –
Ivo.
Den Göttern sei Dank! Offenbar beherrschte Ivo das normannische Französisch besser. Oder er hatte sich noch nicht lange genug mit ihr unterhalten, als dass ihr Eigenarten in seiner Aussprache aufgefallen wären.
Entschlossen, künftig seine Zunge zu hüten, begleitete Ari Alaida auf dem Weg zu weiteren Almosen.
Ivo, Ivo, Ivo,
sagte er im Geiste immer wieder vor sich hin.
Als sie ihre Runde beendeten, hatte der Wind sich gelegt. Die Wolkendecke brach auf, aber die tiefstehende Sonne war zu schwach, um die Luft noch zu erwärmen. Im Verlauf der Jahrhunderte darin geübt, rechnete Ari sich blitzschnell aus, wie viel Zeit ihm bis Sonnenuntergang noch blieb. Bald würde er sich davonmachen müssen. Doch zuvor hatte er noch eine Frage.
»Sagt, My Lady, inwiefern hält Eure Wohltätigkeit Euch vor Augen, warum Ihr nicht davonlauft?«
Alaida blieb stehen und sah ihm geradewegs in die Augen, so als wolle sie abschätzen, ob er überhaupt eine Erklärung verdiente. Offenbar war sie mit dem Ergebnis zufrieden.
»Vergangene Nacht hatte ich einen Traum«, begann sie. »Ich lief fort, und Euer Herr ließ das Dorf bis auf die Grundmauern niederbrennen, um mich zu bestrafen. Ich möchte die Gesichter meiner Leute vor Augen haben, wenn ich die Kirche betrete, um das Ehegelöbnis abzulegen.«
»Ach, My Lady«, sagte Ari kopfschüttelnd angesichts der Angst, die sein Gefährte dem armen Mädchen eingeflößt hatte. »Euer Traum wird sich ganz bestimmt nicht erfüllen. Ich habe jahrelang an Ivos Seite gekämpft. Einen Mann auf dem Schlachtfeld erleben bedeutet, ihn kennenzulernen. Niemals würde er das Dorf für etwas bezahlen lassen, das Ihr getan habt. Ihr solltet heute Abend nicht aus Angst die Kirche betreten. Geht dorthin, weil Ihr Euch einen guten Ehemann und einen guten Herrn für Alnwick wünscht.«
Alaida legte die Hände an den Mund und blies hinein, um sich die Finger zu wärmen, sah dann Ari mit einem ernsten Blick aus ihren braunen Augen an. »Wird er das wirklich sein?«
»Ich schwöre, My Lady, das wird er. Falls nicht, werde ich selbst Euch zur Flucht verhelfen.« Ari verzog das Gesicht, als leide er große Schmerzen, und fügte hinzu: »Wir müssten allerdings bis nach Byzanz fliehen, um ihm zu entkommen – nun ja, vielleicht auch nur bis nach Rom. Aber sei es drum, ich würde Euch helfen.«
Angesichts dieser Übertreibung musste Alaida lächeln.
»So ist es schon besser«, sagte Ari. »Nun macht Euch auf den Weg, My Lady. Wir befinden uns schon vor dem Tor. Euch bleibt nicht mehr viel Zeit, um Euch für die Hochzeit zurechtzumachen.«
Alaida rannte los. Sie blieb noch einmal stehen und drehte sich um. »Habt Dank, Sir Steward. Ihr wart mir eine äußerst angenehme Begleitung.«
Ari stand am Tor und sah ihr hinterher, bis sie im Haus verschwunden war. Dann wandte er sich an einen Stallknecht, der untätig herumstand, und trug ihm auf, sein Pferd zu holen. Während er wartete, ging er hinüber zu dem Brunnen und beugte sich über den Wassereimer, um ein wenig zu trinken. Etwas Warmes wäre ihm lieber gewesen – und ein wenig Zeit, um das Hochzeitsgedicht niederzuschreiben. Doch die Sonne schien wie ein Stein vom
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