Nachtkrieger
die beiden Ruhe brauchen.«
»Jawohl, My Lord. Natürlich nicht«, sagte Bôte und ging zur Tür.
»Sie möchte mich doch nur beschützen«, sagte Alaida, nachdem sich die Tür hinter Bôte geschlossen hatte.
Ivo setzte sich auf die Bettkante. »Brauchst du denn Schutz?«
»Nur gelegentlich.« Alaida streichelte ihm über die Wange und zog ihn näher an sich heran, um ihm einen richtigen Kuss zu geben. »Du bist verschwitzt. Ist es draußen so warm?«
»Nein, aber ich habe mich beeilt. Ich konnte gar nicht schnell genug wieder bei dir sein.«
Plötzlich verspürte Alaida einen Kloß im Hals, und abermals liefen ihr Tränen über die Wangen.
»Schon wieder Tränen?«, fragte Ivo. »Wenn du jedes Mal in Tränen ausbrichst, sobald ich den Raum betrete, dann sollte ich vielleicht doch lieber gehen und das alte Weib wieder zu dir hereinschicken.«
»Nein«, sagte Alaida und hielt ihn am Ärmel zurück. »Aber jedes Mal, wenn ich eingeschlafen bin, habe ich geträumt, ich wäre auf der Suche nach dir. Ich bin so müde davon. Ich möchte, dass du hierbleibst.«
»Und warum hast du in deinen Träumen nach mir gesucht?«, fragte Ivo leise.
»Wegen Beatrice’ Taufe. Ich hatte Vater Theobald gebeten, auf dich zu warten.«
»Ach so.«
»Außerdem kam mir dein Kuss letzte Nacht vor wie ein Abschiedskuss«, sagte Alaida vorwurfsvoll.
Ivo strich ihr über die Wange, und sie sah, wie gerührt er war. »Nun, es war aber kein Abschiedskuss. Denn schließlich bin ich hier, werte Gemahlin. Und ich werde bleiben, solange der Himmel es mir erlaubt.« Er legte seinen Zeigefinger in Beatrice’ Händchen, das sogleich zur Faust geschlossen wurde. »Ich habe seit Jahren keiner Taufe mehr beigewohnt. Und früher habe ich die Zeremonie nie aufmerksam verfolgt. Vielleicht könntest du mein Gedächtnis auffrischen und mir erklären, was ich tun muss.«
Wie Ivo später in der Nacht feststellen sollte, schnarchte Beatrice genau wie ihre Mutter.
In der nächsten Nacht fand er heraus, dass sie sogleich die Augen schloss und einschlief, wenn er ihr sanft mit dem Finger über den winzigen Nasenrücken strich – selbst dann, wenn sie zuvor vollkommen munter gewesen war. Und in der dritten Nacht fiel ihm auf, dass der Nagel ihres kleinen Fingers nicht größer war als ein Gerstenkorn.
All diese Erkenntnisse gewann er nach Mitternacht, nachdem Beatrice gestillt worden war und wieder in ihrer Wiege lag. Solange saß Ivo in der Halle und lauschte auf jedes Geräusch von oben, bis er sicher war, dass Alaida schlief und auch Bôte sich auf ihrem Strohsack schlafen gelegt hatte. Erst dann ging er hinauf ins herrschaftliche Gemach und hockte sich, bis der Morgen graute, vor die Wiege. Jedes Mal dankte er den Göttern für das Wunder, das sie und seine Ehefrau ihm beschert hatten.
In der vierten Nacht stand neben der Wiege ein Hocker für ihn und auf dem Tisch ein Becher Bier, ganz frisch. Ivo warf einen Blick hinüber zu Bôte, deren schmale Augen auf ihn gerichtet waren und im Licht der Öllampe funkelten. Zum Dank nickte er ihr schweigend zu, und – o Wunder – sie lächelte ihn an.
So wurde es ihm zur Gewohnheit, über den Schlaf seiner Tochter zu wachen, ebenso wie es ihm zur Gewohnheit geworden war, jeden Tag als Adler von einem Baum aus über das Herrenhaus zu wachen. Jede Nacht gab es etwas Neues zu entdecken, und Ivo sah verwundert zu, wie schnell seine Tochter wuchs und sich veränderte.
Mit jedem Tag sah sie ihrer Mutter ähnlicher, abgesehen von ihren Augen, die eindeutig nicht braun waren, wie er knapp einen Monat nach Beatrice’ Geburt feststellte. Er bewegte seine Hand vor ihrem Gesicht hin und her und sah lächelnd zu, wie ihr Blick seiner Bewegung folgte. Die Farbe ihrer Augen war eine Mischung aus Hellblau und Grau. Ivo freute sich darüber, dass auch er seiner Tochter etwas vererbt hatte. Ansonsten jedoch war er froh, dass sie mehr ihrer Mutter glich, insbesondere, was die Nase betraf. Beatrice begann zu weinen, und er strich ihr über den Nasenrücken, damit sie ihre Mutter nicht weckte. Sie gähnte, und er tat es ihr nach, denn die schlaflosen Tage und Nächte hatten ihn erschöpft. Doch nicht einmal für eine Sekunde konnte er sich vom Anblick seiner Tochter losreißen.
Er stürzte in einem Zug den gewürzten Wein hinunter, den Bôte in dieser Nacht für ihn hingestellt hatte. Er genoss die innere Wärme, die ihn sogleich durchströmte. Als Beatrice schniefte, stellte er den Kelch weg und kniete sich vor die
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