Nachtkrieger
das Tor so weit auf, dass sie hinausschlüpfen konnte. Dann bedeutete sie Alaida, ihr zu folgen.
Es ist nicht richtig,
flüsterte Alaidas innere Stimme, wie durch den Nebel. Alaida drehte sich um, doch das Herrenhaus war in dem Nebel verschwunden, so wie Ivo an diesem Morgen – als Adler. Ihr Adler, wie Alaida plötzlich bewusst wurde – und der Gedanke machte alles nur noch schlimmer.
»Na los, mein Lämmchen«, drängte Bôte. »Ich bringe Euch in Sicherheit.«
Nicht weit entfernt ertönten gedämpft Schritte. Voller Panik schlüpfte Alaida durch das Tor, das Bôte nahezu lautlos hinter ihr schloss. Im Schutz des Nebels, der so dicht war, dass man kaum einen Meter weit sehen konnte, schlugen sie sich weitgehend nach Gefühl durch bis zum Fluss. Lautlos überquerten sie die Brücke. Auf der anderen Seite angekommen, hielten sie sich westwärts, weg von Alnwick und dem Bösen, das der neue Lord und Alaidas Gemahl war.
Und die ganze Zeit schlief Beatrice friedlich in Bôtes Armen.
Kapitel 28
W ache!«, rief Ari schon zum zweiten Mal. Und zum zweiten Mal erhielt er keine Antwort.
Seltsam.
Eigentlich hätte auf dem Hof längst reges Treiben herrschen müssen, denn er kam spät. In dem plötzlich aufziehenden Nebel hatte er die Orientierung verloren und eine Weile gebraucht, um sein Pferd wiederzufinden und nach Alnwick zu reiten. Nun war beinahe schon Essenszeit.
Ari wollte das Tor aufstoßen, doch es war verriegelt. Erneut rief er nach der Wache, lauter dieses Mal. Er hämmerte mit den Fäusten gegen die eisernen Beschläge, aber die einzige Antwort war das Wiehern der Pferde in den Stallungen. Ein eisiger Schauer lief ihm über den Rücken. Fluchend wendete er sein Pferd, um zu Wats Cottage zu reiten.
Als er dort ankam, fand er den Verwalter auf seinem kleinen Acker, wo er Rote Bete ausmachte. »Im Herrenhaus stimmt etwas nicht«, rief Ari ihm zu. »Ruf so viel bewaffnete Männer wie möglich zusammen und komm nach!«
Als Wat mit den Dorfbewohnern erschien, hatte Ari bereits festgestellt, dass das Ausfalltor nicht verriegelt war. Er zog sein Schwert, öffnete lautlos das Tor und schlüpfte hindurch. Die anderen folgten mit gezückten Waffen. Im dichten Nebel hielten sie sich in Sichtweite hinter Ari und Wat, der sich mit einer Streitaxt ausgerüstet hatte.
Als sie sich dem Brunnen näherten, sah Ari etwas, was aussah wie ein Körper. Er ging näher heran, sah kein Blut und dass die Brust des Mannes sich hob und senkte. Er pikte ihn mit der Spitze seines Schwerts. Es war Edric, der sich auf die Seite rollte und gähnte.
»Verdammter Kerl. Los, aufstehen!« Voller Wut zerrte Ari Edric auf die Füße. »Eine schlafende Wache, und das Tor ist unverriegelt! Dafür werde ich dich auspeitschen. Fünfzig Hiebe.«
»Aber ich …«, stammelte Edric und starrte ihn verwirrt an.
»Wo sind die anderen Wachen?«, fragte Ari.
Benommen schüttelte Edric den Kopf. Doch dann rief Wat: »Hier sind sie, Sir.«
Die beiden Männer, die das Haupttor hätten bewachen sollen, saßen gegen die Umwallung gelehnt mit ausgestreckten Beinen auf dem Boden, als seien sie betrunken. Sogleich wich Aris Zorn einem unbehaglichen Gefühl. Er überließ es Wat, die beiden zu wecken, und rannte in die Halle.
Auch dort fand er alle schlafend vor, selbst Oswald. Ari riss ihn hoch und schrie ihn an: »Aufwachen, Marschall! Was geht hier vor? Die Tore sind unbewacht, und alle schlafen.«
Oswald rieb sich die Augen und hatte Mühe zu verstehen, was Ari gesagt hatte. Mittlerweile war auch Wat erschienen und versuchte, die anderen Männer zu wecken.
»Ich … ich weiß nicht, was geschehen ist,
Messire
«, sagte Oswald und dachte angestrengt nach. Er schien eindeutig verwirrt. »Lord Ivo kam zur üblichen Zeit, aber ohne Sir Brand. Wir haben Schach gespielt, anschließend habe ich mich schlafen gelegt, und weiter kann ich mich nicht erinnern. Dann habt Ihr mich geweckt.«
»Wo sind die Frauen?«
»Äh …«
»In der Vorratskammer,
Messire
«, sagte Tom gähnend. »Bôte hat sie gestern Abend alle dorthin geschickt. Sie sagte, Lady Alaida sei erschöpft und brauche Ruhe.«
Alaida.
Ari verzichtete auf weitere Fragen und rannte die Treppe hinauf.
Im herrschaftlichen Gemach war es vollkommen still, und schon das bestätigte seine schlimmsten Vermutungen. Darüber hinaus waren die Anzeichen einer überstürzten Flucht nur allzu offensichtlich: das Nachthemd, das auf dem Boden lag, die leere Schatulle auf dem ebenso leeren Bett.
»Ach du
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