Nachtkrieger
Wärme durchströmte ihn.
»Was ist das?«
Waren das die richtigen Worte.
»Verdünnter Wein mit Kräutern, um Eure Schmerzen zu lindern, My Lord.«
Er verstand und nickte mit dem Kopf. Zumindest glaubte er, dass er das tat, denn er konnte seinen Kopf kaum bewegen. »Wer?«
»Merewyn, My Lord. Und wer seid Ihr?«
»
Brandr.
Brand.«
»Ihr seid schwer verletzt, Lord Brand. Ihr dürft Euch nicht bewegen.«
Reglos lag er da und lauschte ihren Bewegungen, bis die Kräuter zu wirken begannen. Allmählich kehrte das Gefühl in eine Hand zurück, die sich anfühlte, als sei sie endlos weit entfernt, am Ende eines Arms, der sich ebenso endlos weit erstreckte. Doch er konnte sie bewegen und berührte die Stellen, die besonders schmerzten und nun verbunden waren: seinen Oberschenkel, dann die Hüfte und schließlich – als er auch die andere Hand wieder spürte – seinen Unterarm.
Abermals versuchte er, die Augen zu öffnen, was ihm nun ein wenig leichter fiel als zuvor. Zunächst schien sich alles zu drehen, doch dann erkannte er Stroh und Holzbalken, an denen bündelweise Kräuter aufgehängt waren. Daneben hingen getrocknete Äpfel und ein kleiner Schinken mit einer dicken Salzschicht. Schweineschinken? Ach ja, dieses Wildschwein. Das hatte ihn so übel zugerichtet.
Sicher war es bereits spät. Er musste unbedingt fort, bevor die Sonne aufging – bevor der Bär auf sie losging, wer immer sie war. Unter Aufbietung aller Kräfte rollte er sich auf die unverletzte Seite und richtete sich auf. Ganz so gut war die Wirkung der Kräuter wohl doch nicht. »Nnn, verdammt, tut das weh!«
»Was habt Ihr vor?« Rasch kam sie auf ihn zu und versperrte ihm den Weg, indem sie ihre Röcke ausbreitete, als wolle sie einen Schwarm Enten zusammentreiben. »Nicht! Sonst reißt Ihr Euch die Wunden wieder auf.«
»Kann sein.« Er hatte es geschafft, sich auf die Kante des schmalen Bettes zu setzen, doch ihm war so schwindelig, dass er nicht einmal den Kopf heben konnte. Enten würden ihr sicher mehr Ärger bereiten, als er es im Moment überhaupt vermochte – selbst Entenküken. »Beug dich zu mir herunter, damit ich dich sehen kann.«
Sie kniete sich vor ihn, mit einem Gesichtsausdruck, der an Lady Alaida erinnerte, wenn sie besonders zornig war.
Ebenso stur wie My Lady,
dachte Brand. Doch damit hörte die Ähnlichkeit auch schon auf. Alaida hatte golden schimmernde Haut und kupferfarbenes Haar. Das Haar dieser Frau hingegen war nussbraun, ebenso wie ihre Augen, und ihre Haut schimmerte wie Elfenbein. Um zu übersehen, wie schön sie war, hätte Brand wohl noch schwerere Verletzungen davontragen müssen.
»Merewyn, oder? Wo bin ich, und wie lange ist es noch bis zum Morgengrauen?«
»Ihr seid in meinem Cottage in den Aln Woods, My Lord. Bis zum Morgengrauen dauert es noch eine Weile. Es ist noch kein Streifen am Himmel zu sehen.«
»Gut. Hilf mir aufzustehen!«
»Nein, My Lord. Ihr müsst ein paar Tage hier liegen bleiben.«
»Glaub mir, ich wäre kein sehr angenehmer Gast. Und nun hilf mir!«
»Nein, My Lord.«
Er legte seine Hände auf ihre Schultern, um sich abzustützen und sagte: »Ich werde nicht mit dir darüber streiten, Merewyn. Ich muss fort.«
Sie sah ihn an, als hätte er den Verstand verloren, und wedelte mit einer Hand vor seinen Augen. »Wollt Ihr Euch etwa splitternackt auf den Weg machen?«
Brand sah auf die Decke hinunter, die sich gefährlich weit unten befand. »Das wird schon reichen.«
»Nein, My Lord. Das wird es keineswegs.«
Brand versuchte aufzustehen. Aber Merewyn pikte ihm mit dem Finger in die Brust, und sogleich sank er zurück – kraftlos wie seine eigene Großmutter.
»Ich habe jetzt keine Zeit für so etwas«, protestierte er und wiederholte: »Hilf mir auf!«
Doch anstatt ihm beim Aufstehen zu helfen, rannte Merewyn quer durch den Raum zu einer eisenbeschlagenen Truhe und stöberte darin herum.
»Eins deiner Kleider wird mir wohl kaum passen«, murmelte Brand.
»Ein paar alte Sachen meines Mannes schon.«
Sie war also verheiratet. Wo aber steckte dann ihr Mann? Und warum ließ er sie einfach zurück, so dass sie sich allein um einen splitternackten Fremden kümmern konnte?
Sie drehte sich um und hielt einen Kittel aus dicker Wolle in die Höhe, dazu eine ausgebeulte Leinenhose und ein abgetragenes Paar Wollstrümpfe. »Wahrscheinlich ein wenig zu eng, aber besser als gar nichts. Und Ihr könnt die Decke als Umhang nehmen.«
So unangenehm es Brand war, einem armen Mann die
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