Nachtkrieger
über auf die Jagd gehen, bringen Sir Brand und er recht wenig Fleisch mit.«
»Beim Jagen geht es doch nicht nur um Fleisch. Erwachsene Männer spielen ebenso gern im Wald wie kleine Jungen.« Bôtes forschender Blick trieb Alaida die Röte ins Gesicht. »Lord Ivo rührt ganz bestimmt keine andere Frau an, mein Lämmchen. Das sehe ich daran, wie er Euch anschaut. Lasst Euch das Herz von solch unsinnigen Gedanken nicht schwer werden.«
»Das werde ich nicht«, sagte Alaida so bestimmt, als wäre sie sich dessen vollkommen sicher. Doch in ihrem Hinterkopf nagten Zweifel. Sollte ihr Ehemann sich tatsächlich anderweitig vergnügen, würde das eine Menge erklären. Sie hatte Bôte nichts davon erzählt, dass er sie, Alaida, ganz offenbar nicht mehr begehrte. Ebenso wie den Rest des Haushalts wollte sie die alte Frau in dem Glauben lassen, die Nächte mit ihrem Gemahl wären geprägt von Leidenschaft. Seltsam eigentlich, denn solange sie denken konnte, hatte sie sich ihrer Amme stets anvertraut. Doch dieses Thema schien ihr zu persönlich, ganz einfach zu delikat. Davon abgesehen wusste sie noch immer nicht, was sie davon halten sollte. Damit verhielt es sich ebenso wie mit Ivo selbst. Vielleicht war es ja tatsächlich von Vorteil, mit einem Mann verheiratet zu sein, der seiner Frau nicht allzu viel abverlangte. Vielleicht aber auch nicht.
Als das Feuer angefacht war, stellte Alaida sich davor und schlug das Fell zurück wie die Flügel eines Schmetterlings. »Wie lange wird es wohl dauern, die Motte aufzuschütten?«
»Wat hat gesagt, sie soll fertig sein, bevor die Ernte eingefahren wird. Anschließend wird der Turm darauf errichtet.« Bôte nahm ein Kleid und Unterwäsche aus dem Schrank. »Das ist natürlich nur dann möglich, wenn weitere Männer mitarbeiten. Aus diesem Grund ist Geoffrey nach Durham.«
»Ist er schon unterwegs?«
»Aye, er ist im Morgengrauen aufgebrochen, in Begleitung einiger Wachen und weiterer vier Männer mit Fuhrwerken, um Baumaterial und Arbeiter zu holen.«
»All das geht so schnell.«
»Das stimmt. Weihnachten werdet Ihr sicher schon als Lady von Alnwick Castle feiern.«
»Das wäre schön«, sagte Alaida und fügte seufzend hinzu: »Eine richtige Burg. Ich wünschte, Großvater könnte sie sehen.«
»Wenn Lord Gilbert noch in Amt und Würden wäre, würdet Ihr nicht zu einer Burgherrin«, sagte Bôte mit dem ihr eigenen Pragmatismus. »Da kommt Hadwisa ja endlich. So, nun wollen wir Euch ankleiden. Vater Theobald wird sich auf den Weg nach Lesbury machen müssen, ohne für Lord Ivo die Messe gelesen zu haben. Aber Euch erwartet er ganz sicher in der Kapelle.«
Alaida verdrehte die Augen, legte das Fell weg und hob die Arme, um sich ihr Kleid überstreifen zu lassen. So gesehen hatte es auch sein Gutes, dass ihr Gemahl sie nicht anrührte. Denn so gab es keinen Grund, vor Vater Theobald zu erröten.
Kapitel 11
E s war jeden Tag dasselbe. Mit Einbruch der Dämmerung am Morgen und am Abend litt Brand Höllenqualen, und nach all den Jahren kämpfte er nach wie vor dagegen an. Doch wie immer half es nichts, und so fügte er sich in sein Schicksal und wartete darauf, dass der bohrende Schmerz der Verwandlung ihn überwältigte. Lange, qualvolle Momente später klang er so weit ab, dass Brand wieder Luft bekam und er einigermaßen klar denken konnte. Er brauchte eine Weile, um sich zu orientieren und sich ins Gedächtnis zu rufen, was er tat, was die Geräusche um ihn herum bedeuteten.
Die Höhle, in der er sich wiederfand, schien sonderbar – anders als die übliche Vertiefung unter einem umgestürzten Baum. Unter sich spürte er weiches Gras, und über sich sah er so etwas wie ein Grassodendach, eigentlich eher ein Gestrüpp. Offenbar hatte der Bär sich den Bau eines anderen Tieres zu eigen gemacht. Eines großen Tieres, das ziemlich übel roch … wie ein Schwein.
Ein Schwein? Nein, ein Wildschwein.
Plötzlich schlug Brand das Herz bis zum Hals.
Noch immer Sklave seiner zweiten Form, kroch er hastig aus der Höhle heraus und stand mühsam auf. Eisiger Wind peitschte seine nackte Haut, während er auszumachen versuchte, in welche Richtung er sich wenden musste. In dem Moment raschelte hinter ihm etwas, und er drehte sich um.
Wie ein Rammbock rannte das Wildschwein auf ihn zu und traf ihn in die Seite, Brand stürzte, drehte sich, versuchte wegzurollen, der Keiler jedoch hatte mindestens hundert Pfund mehr auf den Rippen als er selbst und war äußerst angriffslustig –
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