Nachtkrieger
sie Brand durchschaut hatte. Dieser machte eine wegwerfende Geste und steckte sich ein Stück Fleisch in den Mund.
Die Unterhaltung drehte sich noch um Merewyn und Bier, als Tom wenig später die Halle betrat. Er setzte sich still auf seinen Platz an einem der niederen Tische und stopfte hastig sein Essen in sich hinein, bevor die Tische abgeräumt wurden.
Brand zeigte mit einem Rippenknochen, den er gerade abgenagt hatte, in seine Richtung und sagte: »Auf den Jungen kann man sich wirklich verlassen. Jeden Morgen steht er pünktlich bereit. Und heute Abend hat er auf mich gewartet.«
»Dafür hat er sich ja auch den ganzen Nachmittag im Haus herumgetrieben«, sagte Ivo scherzhaft. Doch Alaida riss sogleich die Augen auf vor Schreck.
»Es war wirklich meine Schuld, My Lord. Ihr könnt dem Jungen keinen Vorwurf machen.«
»Beim Gekreuzigten! Frau, wie kommst du nur darauf …« Doch plötzlich fiel ihm eine ideale Lösung für zwei – möglicherweise auch drei – seiner Probleme ein. Er stand auf und brüllte: »Tom, komm her!«
Tom stand auf, wischte sich mit einem Ärmel den Mund ab und durchquerte die Halle. »Jawohl, My Lord?«
»Ich bitte Euch, My Lord!«, sagte Alaida beschwörend.
»Du warst heute Abend nicht zur Stelle, Junge, und offenbar erwartet My Lady, dass ich dir eine Tracht Prügel dafür verabreiche.«
Tom lief rot an wie eine Johannisbeere, während in der Halle der eine oder andere entsetzte Aufschrei laut wurde – am lautesten schrie Alaida selbst. Vollkommen außer sich sprang sie auf und rief: »Ich habe nichts dergleichen gesagt,
Monseigneur.
Das wisst Ihr nur zu gut!«
Tom, der nicht einschätzen konnte, was ihm nun bevorstand, sah zunächst Alaida und dann Ivo an. Tapfer straffte er die Schultern und erklärte: »Wenn Lady Alaida dieser Meinung ist, dann habe ich es wohl nicht besser verdient. Es ist meine Aufgabe, Euch zu gegebener Stunde zur Verfügung zu stehen, und ich habe diese Pflicht heute nicht erfüllt.«
Angesichts eines solch mutigen Auftritts fiel es Ivo zunehmend schwerer, seine strenge Miene beizubehalten. Er musste sich das Lachen verkneifen und sah hinüber zu Brand, der Tom prüfend musterte und anerkennend nickte. Dann warf er einen Seitenblick auf Alaida, die mit geballten Fäusten neben ihm stand und den Eindruck erweckte, als wolle sie ihm höchstpersönlich einen Tritt versetzen, wenn er Tom auch nur anrührte. Ivo zwinkerte ihr kurz zu und hatte einen Heidenspaß, als er sah, wie sie ihn verblüfft mit offenem Mund anstarrte.
»Sehr gut, Junge. Wenn ich es richtig verstehe, bist du deiner Herrin treu ergeben.«
»Ich … ich würde mein Leben für sie geben, My Lord«, sagte Tom voller Stolz und nach wie vor ein wenig verwirrt.
»Dann lass dir sagen, dass sie keineswegs der Ansicht ist, ich solle dir eine Tracht Prügel verabreichen. Ich habe mir lediglich einen schlechten Scherz erlaubt. Aber sie hat mir erzählt, dass du ihre Stute ein wenig auf Trab gebracht hast. Demnach bist du vermutlich ein recht passabler Reiter.«
Toms sichtliche Erleichterung schien nahezu rührend. »Aye, My Lord.«
»Wie alt bist du?«
Tom biss sich nachdenklich auf die Lippen. »Ganz genau weiß ich es nicht, My Lord.«
Oswald kam ihm zu Hilfe und sagte: »Deine Mutter brachte dich etwa in der Zeit zur Welt, als ich aus einer siegreichen Schlacht mit meinem neuen Pferd zurückkehrte. Demnach müsstest du etwa dreizehn Jahre alt sein.«
»Der Marschall hat recht, My Lord. Ungefähr dreizehn.«
»Genau das richtige Alter«, meldete sich Brand zu Wort, denn er hatte längst verstanden, worauf Ivo hinauswollte.
»Oswald, was haltet Ihr eigentlich von Tom?«
Der Marschall erhob sich und stellte sich neben Tom. »Er ist flink, ehrlich und sehr fleißig, My Lord. Er sieht stets, was zu tun ist, und erledigt es dann auch. Ich wünschte, ich hätte ein Dutzend Leute von seiner Sorte.«
»Glaubt Ihr, er würde einen guten Knappen abgeben?«
Oswald strahlte über das ganze Gesicht. »Allerdings, My Lord. Das würde er. Aber er ist nicht von adliger Geburt.«
»Viele Knappen sind von niedriger Geburt. Manche Ritter übrigens auch. Tom, könntest du dir vorstellen, mein Knappe zu werden?«
Mit offenem Mund starrte Tom Ivo an – und machte in dem Moment keine besonders gute Figur als künftiger Knappe.
»Sag einfach ja, Junge!«, rief Brand lachend.
»Ja, My Lord. Ja, natürlich! Das wäre ich sehr gern. Ich schwöre, dass ich Euch ein ganz besonders guter Knappe
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