Nachtkrieger
Eifersucht nagte weiter an Ivo, und so kam er nicht umhin zu fragen: »War das der einzige Grund?«
»Sir Ari hatte versprochen, mir eine Geschichte zu erzählen. Aber er geht mir seit Wochen aus dem Weg.«
»Er geht dir aus dem Weg?«
»In der letzten Zeit habe ich ihn kaum zu Gesicht bekommen. Die Mahlzeiten nimmt er meistens mit den Arbeitern ein. Das Haus betritt er nur, wenn es unbedingt sein muss. Und selbst dann sitzt er wie ein Mönch über sein Pergament gebeugt. Wahrscheinlich möchte er nicht zugeben, dass ihm noch keine Geschichte über einen Drachen eingefallen ist.«
»Das liegt sicher daran, dass ihn seine Aufgaben zu sehr in Anspruch nehmen«, sagte Ivo. Das hässliche Gefühl der Eifersucht schlug um in noch hässlichere Schuldgefühle. Ihm hätte klar sein müssen, dass Ari nicht um Alaida herumscharwenzelte. Dafür war er viel zu ehrenhaft. Bevor die Götter ihm diese Visionen beschert hatten, war Ivo auch von nichts anderem ausgegangen. Doch seitdem war alles ein wenig aus dem Ruder gelaufen. Was Frauen betraf, waren auch für Ari die wilden Zeiten längst vorbei, so wie für all seine Gefährten.
Ivo und Alaida gingen hinunter in die Halle. Als sie an der gedeckten Tafel Platz nahmen, fiel Alaida auf, dass jemand fehlte. »Hoffentlich jagt Sir Brand nicht wieder Wildschweine mit abgebrochenen Ästen«, sagte sie.
»Er kommt später«, sagte Ivo grinsend.
Die Abendmahlzeit war exzellent – gekochtes Fleisch und Kohl mit frischem Brot, das erst an diesem Tag gebacken worden war. Doch so gut das Essen auch war, ruhig verlief es nicht. Immer wieder scheuchte Alaida das Gesinde auf, weil ihr noch etwas einfiel, das vor ihrer Abreise oder während ihrer Abwesenheit erledigt werden musste. Ivo, ohnehin alles andere als begeistert von ihren Reiseplänen, fand all das recht lästig und war froh, als das Essen sich dem Ende näherte.
»Was wolltest du von Tom?«, fragte er, um das Schweigen zu brechen.
»Er sollte mit Lark ausreiten, damit sie sich wieder daran gewöhnt. Sie ist seit Weihnachten kaum bewegt worden.«
»Du hast ein eigenes Pferd?«, fragte Ivo erstaunt, obwohl er das als Alaidas Ehemann eigentlich hätte wissen müssen – als guter Ehemann zumindest.
»Eine hübsche schwarze Stute«, antwortete Alaida. »Mein Großvater hatte sie mir damals zur Verlobung geschenkt«, fügte sie hinzu und steckte sich eine geschmorte Aprikose in den Mund.
»Und du willst sie mit nach Chatton nehmen?«
Noch immer kauend nickte Alaida.
»Wer soll sie reiten?«
»Ich natürlich, My Lord. Schließlich gehört sie mir.«
»Mit Hilfe eines Reitknechts wahrscheinlich.«
»Nein, My Lord. Ich brauche niemanden, der sie am Zügel führt. Ich werde sie selbst reiten.« Alaida bot Ivo eine Aprikose an. »Die sind sehr gut. Möchtet Ihr einmal kosten?«
Darauf war Ivo nicht vorbereitet. In all den Wochen, die er nun mit Alaida verheiratet war, hatte sie ihm nicht ein einziges Mal etwas angeboten. Um die Geste der Vertrautheit zu würdigen, bevor er seine Frau weiter ausfragte, beugte Ivo sich vor und wollte ein Stück abbeißen. Alaida aber steckte ihm die ganze Aprikose, die mit Wein und Honig getränkt war, in den Mund, und er verschluckte sich an der gewürzten Flüssigkeit.
Während Ivo hustend nach Luft schnappte, lehnte Alaida sich zu ihm hinüber. Sie sah ihn lächelnd an, und sein Herz setzte für einen Schlag aus.
»Und damit Ihr es wisst, My Lord«, sagte sie so sanft wie lange nicht mehr, »abgesehen davon, dass ich auf die Hilfe eines Reitknechts verzichten kann, reite ich nicht im Damensitz. Ich trage eine lange Hose unter meinem Gewand und setze mich rittlings in den Sattel. Oh, seht nur! Da kommt ja auch Sir Brand.«
Sie erhob sich und ging Brand entgegen, um ihn zu begrüßen, während Ivo den Rest der Aprikose hinunterschluckte. Als Brand und Alaida Platz nahmen, musste er lachen.
»Was ist so witzig?«, fragte Brand und sah Ivo forschend an.
»Meine Frau«, antwortete Ivo und fügte an Alaida gerichtet hinzu: »Wir sprechen später noch darüber.« Dann fragte er: »Und, wie war Merewyns Bier?«
»Da wart Ihr also«, sagte Alaida. »Eine hübsche Frau, unsere Heilerin, oder?«
»Aye, das ist sie. Aber das war nicht der Grund, aus dem ich ihr einen Besuch abgestattet habe. Ich habe ihr einen Schlauch Wein gebracht, um ihr den, den sie mir eingeflößt hatte, zu ersetzen.«
»Ach, so ist das«, sagte Alaida mit einem wissenden Lächeln, das keinen Zweifel daran ließ, dass
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