Nachtkuss - Howard, L: Nachtkuss - Burn
Stimme schlagartig auf. »So! Die Nacht ist noch jung, und du bist wieder frei. Gehen wir aus?«
Genau darum habe ich dich angerufen, dachte Jenner. Michelle war immer bereit, einen draufzumachen, und Jenner musste sich aus dem Dylan-Trott befreien, in den sie in letzter Zeit versunken gewesen war. Sofort waren die schmerzenden Füße vergessen. Sie war dreiundzwanzig, hatte eben einen Loser in die Wüste geschickt und würde sich nicht von ihrer Müdigkeit unterkriegen lassen. Sie wollte feiern. »Klar. Ich muss nur schnell duschen. Wir
treffen uns im Bird’s«, schlug sie ihre Stammkneipe aus prä-dylanschen Zeiten vor.
» Wowiie! «, jubilierte Michelle. »Nehmt euch in Acht, ihr Vögel! Wir sind wieder da!«
Sie und Michelle bildeten ein wirklich heißes Team, wenn sie das ohne Eigenlob behaupten durfte. Michelle war knapp einen Meter sechzig groß, hatte dicke schwarze Locken, große braune Augen und an allen entscheidenden Stellen die richtigen Kurven. Jenner selbst war mittelgroß und eher dünn, aber wenn sie sich Mühe beim Frisieren und Schminken gab und in etwas Enges, Kurzes schlüpfte, konnte sie sich durchaus sehen lassen. Eine Stunde später liefen sie im Bird’s ein, lachend und » Hit the Road, Jack« singend, und forderten alle anwesenden Frauen auf, beim Refrain mitzusingen. Jenner sang »Dylan« statt »Jack«, was nicht ganz so gut klang, aber wen interessierte das schon? Sie amüsierte sich, und es herrschte kein Mangel an Männern, die mit ihr tanzen wollten.
Als sie schließlich in der Morgendämmerung heimwärts taumelte, freute sie sich darauf, das erste Mal ausschlafen zu können, seit sie in der Spätschicht arbeitete. Sie hatte nicht übermäßig viel getrunken, nur ein paar Bier im Verlauf der letzten fünf Stunden, aber die Erschöpfung hatte ihr den Rest gegeben. Vielleicht war sie mit dreiundzwanzig doch nicht mehr so jung, wie sie geglaubt hatte: Zeitweilig war die Energie zwar durchaus zurückgekehrt, aber nicht ganz so schnell wie früher, und jetzt konnte sie kaum noch einen Fuß vor den anderen setzen.
Sie stellte noch gewissenhaft den Wecker, dann kippte sie vornüber auf die Matratze und rührte sich nicht mehr, bis der Wecker acht Stunden später klingelte. Blinzelnd lag sie im Bett, schaute an die Decke und versuchte sich ins Gedächtnis zu rufen, welcher Tag es war. Schließlich
begannen die Räder ineinanderzugreifen - richtig, es war Freitag -, und im selben Moment fiel ihr wieder ein, dass Dylan weg war, weg, weg, weg. Gleich danach begriff sie, dass sie zur Arbeit musste. Sie sprang auf, stürzte unter die Dusche, wo sie zu Ehren ihrer neu gewonnenen Freiheit ein Liedchen summte, und zog dann bemerkenswert frohgemut ein frisches hässliches blaues Hemd an. Nicht mal das Hemd konnte ihr heute die Laune verderben.
Warum hatte sie erst jetzt erkannt, wie komplett es mit ihr und Dylan vorbei war? Warum hatte sie sich seine Schnorrerei so lange gefallen lassen? Gut, eigentlich war es nicht besonders lang gewesen, aber sie hatte die Situation gute vier Wochen länger hingenommen, als eigentlich erträglich gewesen wäre, so als hätte sie gehofft, dass sich alles einrenkte, obwohl sie genau gewusst hatte, dass das nicht geschehen würde. Das passierte nie. Sie musste lernen, um den blinden Fleck herumzublicken, der ihre Menschenkenntnis zu trüben schien. Obwohl es nicht direkt ein blinder Fleck war. Sie hatte von Anfang an gewusst, dass Dylan nicht der Mann war, den sie sich erträumte, genauso wenig wie ihr Vater der Vater war, den sie sich erträumte. Ihren Dad hatte sie längst abgeschrieben; dagegen hatte Dylan zu Anfang, vor ein paar Wochen, einen durchaus vielversprechenden Eindruck gemacht. Erst später war unter der schönen Fassade die hässliche Wirklichkeit zum Vorschein gekommen.
Sie überstand ihre Schicht und ging fröhlich ins Wochenende. Endlich konnte sie wieder tun und lassen, was sie wollte und wann und mit wem sie es wollte. Vor allem wollte sie wieder mit Michelle ausgehen, und so zogen sie erneut los und machten das Bird’s unsicher.
Erst in der Pause am Montagnachmittag hörte sie wieder von der Lotterie. Während sie mit ihren Kolleginnen
in dem schmierigen Pausenraum saß und lustlos auf einem Schinkensandwich herumkaute, das sie mit einer Pepsi hinunterspülte, bekam sie mit, wie die anderen sich darüber unterhielten, dass der Jackpot geknackt worden sei, sich der Gewinner aber noch nicht gemeldet habe. »Der Schein wurde in dem
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