Nachtprinzessin
mehr an die Nieren, als ich dachte. Pass auf, Melly: Ich spiele mit dem Gedanken, ein paar Tage, vielleicht übers Wochenende, nach Giglio zu fahren. Das ist eine kleine Insel im Tyrrhenischen Meer, nahe Grosseto.«
»Aha. Na prima. Ist doch super.«
»Hast du Lust mitzukommen? Wegen Samstag könnte ich mit Frau Voss reden.«
»Mit Frau Voss kann ich auch allein reden. Ich bin schließlich keine sieben mehr. Aber ich komme nicht mit. Schlag dir das aus dem Kopf. Keine Chance.«
Susanne schluckte. So etwas hatte sie erwartet. Sie flüsterte fast, als sie sagte: »Solange ich nicht weiß, bei wem du deine Zeit verbringst und mit wem du schläfst, kann ich hier nicht weg. Das halte ich nicht aus. Kannst du dir das nicht vorstellen?«
»Vorstellen kann ich mir das schon«, meinte Melanie ungerührt, stand auf, kramte in ihrem riesigen unergründlichen Beutel und fischte nach bewundernswert kurzer Zeit ihre Zigaretten heraus und zündete sich eine an.
»Wie gesagt, vorstellen kann ich mir das schon, aber verstehen kann ich das nicht. Meine Fresse, wenn ich dir sage, der Typ ist okay und du brauchst dir keine Sorgen zu machen, dann müsste das reichen. Du musst mir zur Abwechslung einfach mal glauben, das ist alles.«
Es war also kein Vertrauensbruch, dass Melly ihr den Namen ihres Freundes nicht verriet, sondern es lag an ihr, weil sie so unsicher war, mit wem sich ihre Tochter abgab. Melly hatte es schon immer geschafft, jede Schuldfrage zu ihren Gunsten umzudrehen. Obwohl es diesmal ja nicht um Schuld, sondern schlicht um Ehrlichkeit und Vertrauen ging.
Susanne bekam ein flaues Gefühl im Magen.
»Was hast du dagegen, dass wir uns ein paar schöne Tage machen? Ich habe mit den Carabinieri bestimmt nicht viel zu tun, wir hätten also auch ein bisschen Zeit füreinander.«
»Vergiss es!« Melanie blies den Rauch an die Decke und sah der weißen Wolke hinterher. »So ein Kurztrip ist doch Panne. Stress pur. Nee danke. Nicht mit mir!«
Vielleicht hatte Melly recht. Wahrscheinlich brachte es wirklich nichts, nach Giglio zu fahren. Schließlich erkannte sie den Mörder – falls er überhaupt noch da war – nicht an der Nasenspitze. Die Italiener machten ihre Arbeit sicher gewissenhaft, und sie hatte mehr davon, ausgiebig mithilfe des Dolmetschers zu telefonieren und die Informationen auszutauschen, als vor Ort zu sein, aber kein Wort von dem zu verstehen, was die Carabinieri sagten.
Und wenn sie ehrlich war, wollte sie eigentlich nur ein Wochenende mit ihrer Tochter zusammen sein. Sie hatte geglaubt, Melly mit einer kleinen Reise locken zu können.
Aber selbst das hatte nicht funktioniert. Melly zeigte nicht mehr das leiseste Interesse an ihr.
50
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Siena, August 2009
Drei Tage waren sie nun schon gemeinsam in der Stadt unterwegs, besichtigten Kirchen, Plätze und den Palazzo Pubblico mit dem Museo Civico, und zum krönenden Abschluss bestiegen sie den Torre del Mangia, den Glockenturm des Rathauses mit seiner Spitze aus Travertin.
»Hier sind fünfhundertfünfundfünfzig Stufen, Dottore, schaffen Sie?«, hatte Gianni gefragt. Der Titel Dottore schmeichelte Matthias, und er glaubte entzückt, Besorgnis aus Giannis Stimme herausgehört zu haben.
»Aber natürlich!«, erwiderte Matthias lächelnd. »In Berlin trainiere ich für den Halb-Marathon, da werden mir die paar läppischen Stufen wohl nichts ausmachen.«
Als dann der Anstieg begann, hatte er jedoch Schwierigkeiten, sich seine Konditionsprobleme nicht anmerken zu lassen.
Gianni dagegen lief leichtfüßig und flink nach oben und schien noch nicht einmal außer Atem zu sein. Das Ganze erinnerte Matthias fatal an Adriano, mit dessen Tempo er auf den Klippen auch nicht hatte mithalten können.
Sie redeten einen bunten Mix aus Deutsch und Italienisch, und manchmal vergaß Matthias bei dem Durcheinander sogar für wenige Momente, welche Sprache er gerade sprach.
Die ganze Zeit über stand Matthias unter Hochspannung. Er hielt es kaum noch aus, wollte zumindest seine Hand nehmen, wenn sie nebeneinander durch die Straßen gingen, tat aber nichts dergleichen. Hatte Gianni noch kein einziges Mal, auch nicht nur aus Versehen, berührt.
Es war Freitagmittag, und sie saßen in einer kleinen Trattoria nahe der Via di Città.
»Wo kann ich hier ein Bett kaufen, Gianni?«, fragte Matthias. »Ich will endlich raus aus dem Hotel und in meiner neuen Wohnung schlafen. Zeig mir ein Geschäft, wo ich ein Bett finde. Etwas Schönes, etwas Besonderes, keine Kaufhaus-
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