Nachtprinzessin
unterschiedlichen Blickwinkeln und Perspektiven im Kasten, war der Feuerball auch schon fast am Horizont versunken.
Fast gleichzeitig gingen am Hafen die Laternen und Lichter an, einige letzte Möwen segelten zu ihren Schlafplätzen auf den Sonnensegeln unbewohnter Boote.
»Ich mag diese Stunde«, meinte Neri, um das Gespräch wieder in Gang zu bringen. »Es ist die romantischste Zeit des ganzen Tages. Ein ruhiges Atemholen zwischen der Hektik des Tages und der Aufregung der Nacht.«
Minetti zog als Kommentar nur eine Augenbraue hoch und sah aus, als wollte er sagen: Jetzt ist er völlig verrückt geworden.
Rosa brachte für jeden gegrillten Fisch.
»Buon appetito«, sagte sie lächelnd, und diesmal erwiderte Neri nichts, sondern sah sie nur an.
Die letzte Fähre war bereits in Sicht und wurde in der Ferne allmählich größer, während sie sich auf die Hafeneinfahrt zubewegte.
Nicht nur auf dem offenen Meer, auch im Hafenbecken war das Wasser durch den starken Wind unruhig, die Schäkel klapperten, und einige Boote schlugen dumpf aneinander.
Die Fähre kam näher.
Hinter der Mole waren bereits die hohen Aufbauten des gewaltigen Schiffes zu sehen, und es wirkte, als würde es von Geisterhand geschoben.
»Ich finde es unvorstellbar, wie die Fähren hier in diesem engen Hafenbecken wenden«, sagte Neri. »Bei meiner Ankunft auf der Insel dachte ich, der schafft das nie, das kann einfach nicht passen. Aber es hat locker gepasst. Unglaublich.«
»Die Jungs wenden hier jeden Tag drei-, viermal. Die machen das im Schlaf.«
»Ich bewundere das.«
»Die Fähre, die jetzt kommt, wendet nicht mehr. Sie legt einfach nur am Fähranleger an und startet dann morgen ganz früh. Um halb sieben, glaube ich, jedenfalls so ungefähr.« Minetti fand das alles nicht so spannend.
In diesem Moment erreichte die Fähre die Hafeneinfahrt.
Sie war schneller, als Neri erwartet hatte. Sie war sehr schnell. Viel zu schnell.
»Porcamiseria, hat die viel Tempo drauf, findest du nicht auch?«, fragte Neri, und obwohl Minetti, der mit dem Rücken zum Hafen saß, Neri für ein unbedarftes Landei hielt, der so etwas gar nicht beurteilen konnte, drehte er sich um.
Sie ist wirklich zu schnell, schoss es Minetti durch den Kopf, und – verflucht noch mal – sie hat den falschen Winkel. Was macht der Typ? Wo fährt er hin mit dem Kahn? Um Himmels willen!
Und dann geschah es in Sekundenschnelle.
Die Fähre schoss in den Hafen, driftete backbord viel zu nah an den Kai, kam nicht mehr weg, konnte ihre Fahrt nicht kontrollieren und krachte in die großen bewohnten Jachten, in denen fast überall Licht brannte, und faltete sie wie Papierboote übereinander.
Neri und Minetti sprangen fast gleichzeitig auf, und Rosa, die gerade hereinkam, schrie auf, als sie sah, was da passierte. Nur Sekundenbruchteile später schrien auch fast alle Gäste des Restaurants vor Schreck und liefen ans Fenster, um das Unglück zu sehen.
Mittlerweile war die Fähre zum Stehen gekommen, die Ostseite des Hafens sah aus wie nach einem verheerenden Tornado oder Taifun.
Neri und Minetti rannten aus dem Lokal.
Rosa setzte sich an deren verwaisten Tisch. Sie konnte das alles nicht fassen.
»Ist so was schon mal passiert?«, fragte sie ein Gast, der hektische Flecken im Gesicht hatte und sich unentwegt die Haare raufte, während alle andern lautstark durcheinanderredeten.
»Nein, nie!«, rief Rosa. »Nie, niemals! Das ist das erste Mal!«
Sie sah, wie sich der Kai mit Menschen füllte, der Wagen der Carabinieri kam angefahren, und kurz darauf glaubte sie direkt an einer zerstörten Jacht Neri zu erkennen, aber sie war sich nicht sicher.
Es war wie im Märchen. Die gelben Lampen des Hafens, die Straßenlaternen und die warmen Lichter der Restaurants funkelten in der Dämmerung, denn mittlerweile war es fast dunkel. Gabriella war überwältigt von der Schönheit dieses verschlafenen Mittelmeerhafens, und sie stellte sich backbord ganz vorn an den Bug, um das Anlegemanöver gut beobachten zu können.
Die Kaimauer kam bedrohlich näher. Mit einer unglaublichen Geschwindigkeit, und Gabriella spürte, dass da etwas nicht stimmte.
Sie hatte den Unfall vor Augen, sah förmlich vor sich, was jetzt passieren würde, und klammerte sich an der Reling fest.
Als die Fähre in die Mauer und in die Sportbootjachten krachte, schrie auch Gabriella. Das Getöse des Stahlrumpfs, der gegen Stein und Beton donnerte, war übermächtig laut und beängstigend. Gabriella hatte das
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