Nachtprinzessin
Gefühl, das Schiff wäre komplett zerstört und müsste in den nächsten Minuten hier im Hafen sinken.
In Panik rannte sie die Treppe hinunter.
Es dauerte noch fast eine Dreiviertelstunde, bis die Passagiere von Bord durften, und Gabriella war eine der ersten, die blass und geschockt über die Gangway an Land stolperten. Der Schaden an der Fähre war gering. Böswillig hätte man es nur als ein paar Kratzer und Beulen bezeichnen können, aber die Zerstörung der Jachten war verheerend. Wie durch ein Wunder war keiner der Skipper, die fast alle an oder unter Deck gesessen und Abendbrot gegessen hatten, verletzt worden.
Gabriella blieb am Kai stehen. Wie paralysiert durch das eben Erlebte. Sie starrte ins Wasser und auf die Bootsteile, die im Hafenbecken schwammen, und wusste überhaupt nicht, was sie jetzt machen sollte, ob ihr Wagen heute Nacht noch ausgeladen wurde oder nicht und wohin sie gehen konnte. Die Vorfreude war verflogen, ihr war zum Heulen zumute.
Und dann tauchte Neri plötzlich vor ihr auf und starrte sie an, als stünde er einer optischen Täuschung gegenüber.
»Gabriella«, sagte er nur fassungslos. »Was machst du denn hier?«
Gabriella fiel ihm wortlos in die Arme.
Neri streichelte ihr hilflos über den Rücken. Er wusste nicht, was er machen sollte. Er war im Stress, mit dem Unfall hatte er eine Heidenarbeit, musste Unmengen klären, organisieren, ordnen, auf dem Kai herrschte Chaos, das sich vor Mitternacht sicher nicht lichten würde. Und jetzt hing eine geschockte Gabriella an seinem Hals. Wenn er ihr sagte, dass er jetzt keine Zeit für sie hatte, war sie sauer bis ans Ende ihrer Tage. Und das wollte er ihr auch nicht antun. Also saß er in einer Zwickmühle und erwartete jeden Augenblick, dass Minetti mit einem Haufen Befehlen, Vorwürfen und Aufgaben wie ein drohender Neptun aus den Menschenmassen auftauchen würde.
»Ich bin gekommen, um dich übers Wochenende zu besuchen, Neri«, schluchzte sie leise. »Ich wollte dich überraschen, und dann passiert so etwas Schreckliches!«
»Beruhig dich! Es sieht schlimmer aus, als es ist. Sachschaden kann man ersetzen, und wie es scheint, ist niemandem was passiert.«
Männer und Frauen waren eben grundverschieden. Er hasste Überraschungen jeder Art, und genauso leidenschaftlich liebte Gabriella sie. Besonders in seiner gegenwärtigen Situation konnte er Gabriella auf Giglio überhaupt nicht gebrauchen, obwohl er es rührend fand, dass sie Oma wahrscheinlich irgendwo weggesperrt und sich dann nur seinetwegen auf den Weg gemacht hatte.
Und was sollte er Rosa erzählen? Dass er gelogen und doch eine Frau hatte, die auch noch urplötzlich auf der Matte stand?
Ihm grauste bei dem Gedanken.
»Hast du ein Zimmer?«, fragte er sie, und was er schon befürchtet hatte, passierte: Gabriella schüttelte den Kopf.
»Du lieber Himmel! Wo willst du denn wohnen?«
»Bei dir! Ich weiß, es ist nicht komfortabel, aber zwei, drei Tage wird es schon gehen.«
»Es geht nicht, Gabriella! Ich schlafe auf einer Pritsche, so breit wie ein Feldbett im Dreißigjährigen Krieg. Da passen auf keinen Fall zwei Personen drauf!«
»Du wirst schon eine Lösung finden. Schließlich kennst du dich hier aus.« Damit schwieg sie und wartete einfach ab.
Neri sah sich um und entdeckte Minetti im Gewühl vor einer der am schlimmsten zerstörten Jachten.
»Valentino, entschuldige«, mischte er sich ein. »Meine Frau war auf der Fähre. Sie wollte mich besuchen. Überraschen, verstehst du?«
Minetti nickte grimmig. Dieses Thema kannte er zur Genüge.
»Hast du eine Idee, wo sie für zwei, drei Nächte schlafen kann?«
»Frag doch mal Rosa!« Minetti lachte kurz auf, und Neri zuckte zusammen. Offensichtlich hatte Minetti doch ein paar Antennen, die er nur heimlich ausfuhr. Ein ganz so tumber Tor war er also nicht und hatte bemerkt, dass sich zwischen Rosa und Neri etwas angebahnt hatte.
»Bitte, Valentino!«
Minetti dachte nach. »Ja, klar«, sagte er schließlich. »Das könnte eine Möglichkeit sein. Mauro hat ein kleines, schönes Appartement direkt am Hafen. Er vermietet nur sporadisch, nur wenn ihm die Nase des Gastes passt, aber vielleicht habt ihr ja Glück, und er hat was frei. Ansonsten fällt mir auch nichts ein.«
Minetti kritzelte Mauros Telefonnummer auf die abgerissene Ecke einer herumliegenden Zeitung, gab sie Neri und wandte sich dann wieder dem Eigner der Jacht zu.
»Komm mit!«, sagte Neri zu Gabriella, und Gabriella folgte ihm.
»Was ist mit
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