Nachtprinzessin
meinem Auto auf der Fähre?«
Neri hielt die Hand auf. »Gib mir den Schlüssel, ich kümmere mich drum.«
Mauro war hocherfreut, von einem Carabiniere besucht und dann noch um ein Zimmer gebeten zu werden.
Er schüttelte Neri und Gabriella die Hand, und Gabriella hatte das Gefühl, von der Pranke eines Bären gepackt zu werden. Noch nie in ihrem Leben hatte sie einen derartig behaarten Menschen gesehen. Sie stellte sich vor, wie er nackt aussehen musste, und schüttelte sich innerlich vor Entsetzen.
»Sie haben unverschämtes Glück!«, trompetete Mauro strahlend. »Gerade in dieser Jahreszeit, wo jede Hundehütte doppelt belegt ist, habe ich noch ein wunderbares Appartement frei. Das Beste! Der letzte Gast ist einige Tage früher abgereist. Wegen familiärer Probleme.«
»Kann ich es kurz sehen?«, fragte Gabriella.
»Aber selbstverständlich.«
Mauro ging voran.
Gabriella taten im Sommer immer die Hunde leid, die bei der Hitze ihr dichtes Fell nicht ablegen konnten und sich durch den Tag hechelten – bei Mauro war es sicher ähnlich.
Gabriella konnte gar nicht mehr aufhören, sich immer neue alltägliche Horrorszenarien eines Zugewachsenen auszumalen, als Mauro endlich das Appartement aufschloss.
So schön hatte sie sich eine Unterkunft auf Giglio nicht vorgestellt. Sie war auf Anhieb begeistert und öffnete sofort das Fenster. Hafengeräusche und das Gewirr der aufgeregten Stimmen vom Kai schallten ihr entgegen, die Lichter spiegelten sich glitzernd im Wasser, es roch nach Fisch und Salz.
»Wunderbar!«, sagte sie. »Es ist wunderschön! Ich würde es wirklich furchtbar gern mieten.«
»Kein Problem.« Mauro ließ den Schlüssel noch einmal kurz vor ihrem Gesicht hin und her baumeln, dann drückte er ihn ihr in die Hand und verabschiedete sich.
»Pfui Teufel!«, sagte Gabriella prompt, als er die Tür hinter sich zugezogen hatte. »Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie so einen abstoßend hässlichen Menschen gesehen.Das ist ein leibhaftiger Gorilla.«
Neri grinste. »Tut mir leid, aber ich muss zurück zum Kai. Gibt noch eine Menge zu regeln.«
»Kommst du, wenn du fertig bist? Ich warte auf dich.«
Heute Nacht warten also zwei Frauen auf mich, ich werde wahnsinnig, dachte Neri, aber er nickte und sagte: »Natürlich komme ich.«
»Und schläfst du auch hier bei mir? Es ist bestimmt schöner, als auf deiner Pritsche aus dem Dreißigjährigen Krieg.«
»Ja, ich schlafe auch hier«, meinte Neri und drückte ihr einen Kuss auf die Wange. Und gleichzeitig dachte er an Rosa und wurde ganz wehmütig dabei.
Um halb eins hatte Rosa Feierabend. Seit ungefähr einer Stunde waren Minetti und Neri nicht mehr am Kai, und sie hatte sich gewundert, dass Neri nicht gekommen war, um vielleicht noch eine Kleinigkeit zu essen oder zu erzählen, was genau passiert war. Ein Kollege aus dem Nachbarrestaurant hatte erzählt, der Kapitän der Fähre sei betrunken gewesen. Aber ob das nur ein Gerücht war oder tatsächlich stimmte, wusste zu diesem Zeitpunkt noch niemand.
Wahrscheinlich hatte Neri genug von dem Trubel, war direkt nach Hause gegangen und wartete dort auf sie. Oder er saß noch im Büro und schrieb einen Bericht über die Vorkommnisse des Abends, überlegte Rosa und ging zur Carabinieristation.
Umso erstaunter war sie, als sie sah, dass sowohl im Büro als auch in Neris kleinem Zimmer kein Licht brannte. Sie klingelte trotzdem. Immerhin konnte es ja sein, dass er eingeschlafen war.
Nichts rührte sich. Im Haus war alles still.
Schließlich rief sie laut seinen Namen, und es war ihr egal, ob es jemand hörte.
Erst Minuten später sah sie ein, dass alles keinen Zweck hatte. Neri war nicht da, er hatte also doch nicht auf sie gewartet.
Sie konnte es einfach nicht verstehen und ging enttäuscht nach oben in ihre Wohnung. Ihr blieb nur die winzige Hoffnung, dass er vielleicht doch noch kommen würde. Wenn er alles erledigt hatte, was es noch zu erledigen gab.
Rosa hatte die ganze Nacht unruhig geschlafen, weil sie ständig auf die Geräusche vor dem Haus geachtet hatte und auf keinen Fall sein Klopfen überhören wollte.
Aber er war nicht gekommen.
Um halb sieben stand sie auf und war todmüde. Aber sie hielt es auch im Bett keine Sekunde länger aus. Es war ungeheuerlich! Er hatte sie wahrhaftig versetzt. Ohne ihr Bescheid zu sagen.
In ihrer Küche trank sie eine Tasse Kaffee nach der anderen und hoffte dadurch einen klaren Kopf zu bekommen, aber sie hatte das Gefühl, dass jede Tasse sie nur
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