Nachtprinzessin
gemeldet. Er stand vor der versiegelten Tür und traute sich nicht in seine Wohnung, wollte wissen, was geschehen war.
Natürlich musste das irgendwann passieren. Es sei denn, der Wohnungsbesitzer war auch der Täter. Dann würde er es nicht wagen.
Das Labor hatte versprochen, die DNA -Analyse des gefundenen Spermas bis morgen fertig zu haben, aber die Kollegen in Arezzo versprachen viel, wenn der Tag lang war.
»Wie geht es deinem Sohn?«, fragte Alfonso beinah auf Stichwort.
»Er liegt im künstlichen Koma. Soweit ist sein Zustand stabil. Wir müssen abwarten. Noch ist er nicht völlig über den Berg.«
»Ich hoffe sehr, dass er es schafft«, sagte Alfonso ungewohnt mitfühlend.
»Danke.«
Vier Minuten später standen die beiden Carabinieri einem gut aussehenden, gepflegten Deutschen gegenüber, der auf Anhieb einen sehr sympathischen Eindruck machte und sich um ein grammatikalisch einwandfreies Italienisch bemühte. Er begrüßte die Polizisten mit Handschlag.
»Wie freundlich von Ihnen, dass Sie so schnell gekommen sind.«
Neri nickte, fixierte den Fremden und versuchte, ihm hinter die Stirn zu gucken und mit all seiner Intuition zu erspüren, ob er in Ordnung war oder nicht.
»Mein Name ist Matthias von Steinfeld. Ich wohne hier, das heißt, ich habe das Appartement vor zwei Monaten gekauft. Jetzt möchte ich zum ersten Mal ein paar Tage hier verbringen und finde meine Tür versiegelt vor. Können Sie mir das erklären?«
»Es ist etwas passiert«, sagte Alfonso.
Matthias runzelte die Stirn und machte ein besorgtes Gesicht. »Was denn?«
»Gehen wir hinein!« Neri erbrach das Siegel, Matthias schloss die Tür auf, und sie betraten die Wohnung. Neri ging direkt ins Schlafzimmer, Matthias und Alfonso folgten ihm.
Vor dem Bett blieb Neri stehen, und das schreckliche Bild war wieder in seinem Kopf, als würde Gianni immer noch dort liegen und um sein Leben kämpfen.
»Hier in diesem Bett«, begann Neri, und dann versagte ihm die Stimme.
»Hier in diesem Bett haben wir einen jungen Mann gefunden«, übernahm Alfonso für ihn. »Er war mit Handschellen gefesselt, vergewaltigt worden und ist fast erfroren, weil die Klimaanlage Tag und Nacht lief.«
Tag und Nacht, überlegte Matthias, das heißt, Gianni musste dort mindestens vierundzwanzig Stunden nackt ausgehalten haben. Alle Achtung. Er war ein ziemlich zäher Bursche.
Matthias spielte Fassungslosigkeit und sah die Carabinieri an, als hätte er kein Wort verstanden.
»Wie? Hier in meinem Bett? Ich verstehe überhaupt nichts!«
»Wir auch nicht. Könnten wir bitte mal Ihren Ausweis sehen?«
Matthias zog ihn wortlos aus seiner Brieftasche und reichte ihn Alfonso.
»Signor von Steinfeld«, Alfonso hatte einige Mühe, den Namen auszusprechen, »wo haben Sie das Wochenende verbracht, also, wo waren Sie vergangenen Sonntag, Montag und Dienstag?«
»In Berlin! Ich komme jetzt direkt aus Berlin, bin heute früh losgefahren. Ich habe die Wohnung im Juli gekauft und bin seitdem nicht mehr hier gewesen.« Er zählte mit den Fingern nach. »Ja, das sind ja schon fast drei und nicht zwei Monate.«
»Wer kann das bezeugen, dass Sie Sonntag, Montag und Dienstag dieser Woche in Berlin waren?« Jetzt fragte Neri, der sich wieder gefangen hatte.
Matthias lächelte. »Sie werden es nicht glauben, aber bezeugen kann dies die Berliner Polizei. Mein Sohn arbeitet als leitender Koch in einem der besten Restaurants Berlins. Dort hatte es einen Zwischenfall gegeben. Der Küchenchef war auf ungeklärte Weise ums Leben gekommen. Alle Köche wurden verhört. Ich besorgte meinem Sohn einen Anwalt, holte ihn nach der Befragung ab, wechselte auch ein paar Worte mit dem Kommissar. Namen und Adressen von dem Kommissar und dem Anwalt kann ich Ihnen selbstverständlich geben.«
»Wir werden das natürlich überprüfen.«
»Aber selbstverständlich.«
»Wie kommt es, dass Sie so kurz nach einem solchen Vorfall gleich nach Italien gefahren sind?«
»Mein Sohn ist aus dem Kreis der Verdächtigen ausgeschlossen worden. Insofern ist alles in Ordnung, und ich habe ein paar Tage Urlaub bitter nötig.«
Wenn das alles stimmte, was er sagte, war dieser Deutsche auf keinen Fall der Täter, dachte Neri.
»Wer hat außerdem noch Schlüssel zu Ihrer Wohnung?«, fragte er.
Matthias überlegte. »Ich habe beim Kauf nur zwei Schlüssel bekommen. Einen habe ich, und einen habe ich einem jungen Mann gegeben, der mir bei meinen ersten Schritten in Italien, bei Behördengängen, Einkäufen
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