Nachtprinzessin
Rest geben, denn er atmete noch, ich wollte ihn auch noch ein bisschen für die Nachwelt zur Schau stellen. Hab ihn zum Konvektor geschleppt, und es war die Hölle, ihn da aufrecht reinzuwuchten. Ein paarmal hab ich gedacht, ich schaff’s nicht, aber dann ging’s doch irgendwie. Und zum Schluss hab ich ihm noch das Thermometer in den Hintern gesteckt mit den lieben Worten: ›Jetzt wirst du gefickt, mein Freund, denn es ist ja nicht der schwul, der fickt, sondern der, der gefickt wird!‹ Lebensphilosophie von unserem lieben Majewski.
Dann hab ich den Konvektor eingestellt und bin abgehauen. So war das.
Wenn der mich nicht schon seit Tagen, ach was, seit Wochen so provoziert hätte, dann hätte ich niemals zugeschlagen. Aber das weiß ja keiner, und die Polizei glaubt mir sowieso nicht.«
Matthias war erschüttert und wusste nicht, was er sagen sollte.
»Sie werden es dir nicht beweisen können«, meinte er schließlich. »Es könnte ja wirklich jeder der Köche gewesen sein. Im Grunde haben alle ein Motiv. Bredow kann dir gar nichts. Und solange du Rusper mit im Boot hast, sowieso nicht. Das ist der gerissenste Hund unter der Sonne.«
Matthias liefen die Tränen übers Gesicht. Alex hatte seinen Vater gerächt. Alle Beleidigungen, die ihn selbst betrafen, hatte er weggesteckt, aber als Majewski »Papa-Tunte« und all die anderen Widerlichkeiten sagte, war es zu viel, und er war ausgeflippt. Alex liebte ihn. Er liebte ihn wirklich.
»Danke, dass du mir die Wahrheit gesagt hast«, sagte Matthias. »Und du kannst ganz sicher sein: Auch wenn du mir das alles nicht erzählt hättest, gäbe es keinen Unterschied, denn von mir wird niemand etwas erfahren. Also mach dir keine Sorgen und vor allem keine Vorwürfe.«
»Hm.«
»Pass auf, ich hab noch ein kleines Problem. Ich muss noch mal zurück nach Italien, denn ich bin da so überstürzt abgehauen, dass ich noch einiges dringend klären muss. Dazu brauche ich aber nicht lange. Zwei, drei Tage höchstens, und dann bin ich wieder hier. Besprich alles, was du tust, vorher mit Rusper. Und vor allem sag keinen Ton, wenn sie dich noch einmal vorladen und dir Fragen stellen und dein Anwalt nicht dabei ist. Du darfst jetzt keinen Fehler machen, denn wie ich Bredow einschätze, wird er alles versuchen, um Rusper auszutricksen. Kommissare sind immer sauer, wenn man mit Anwälten im Gepäck ankommt. Das können die auf den Tod nicht ausstehen.«
»Übrigens haben sie die Fingerabdrücke von den beiden Biergläsern genommen, die da noch rumstanden. Deins und das von Majewski. Majewski hatte ja wohl mehrere in Arbeit. Nur dass du Bescheid weißt.«
»Sollen sie. Ich schenke ihnen meine Fingerabdrücke, denn sie wissen ja nicht, dass es meine sind. Und wenn irgendjemand sagt, dass ich da war, na und? Majewski wird sich am Abend mit vielen Leuten unterhalten haben, und auch wenn ich der Letzte war, bin ich weniger als alle Köche verdächtig, denn ich habe kein Motiv.«
»Doch. Du bist mein Vater.«
»Mach dir mal keine Sorgen, so schnell kann mir da selbst der eifrigste Beamte keinen Strick draus drehen. Und wir wissen ja, wer der wahre Mörder ist.«
Er lachte leise.
»Also: Verweigere einfach die Aussage.«
»In Ordnung.« In Alex’ Augen war wieder ein klein wenig Glanz zurückgekehrt. Vielleicht der Funken Hoffnung, dass er ungeschoren davonkommen könnte.
Als Matthias zu seinem Wagen ging, war er trotz der Hiobsbotschaften ganz glücklich. Die letzten zwei Stunden waren die intensivsten und vertrauensvollsten gewesen, die er mit seinem Sohn je verbracht hatte.
Er kontrollierte, ob er seine Brieftasche dabeihatte, und fuhr dann direkt auf die Autobahn, Richtung Italien.
70
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Montebenichi, Donnerstag, 8. Oktober 2009
Es dämmerte bereits, als er Montebenichi erreichte, und wieder war die Piazza menschenleer. Während der Fahrt hatte er beschlossen, die Leiche nach Möglichkeit noch in der Nacht ins Auto zu laden – die Totenstarre dürfte sich längst gelöst haben – und damit hinauf in die einsamen Wälder des Prato Magno zu fahren. Noch war der Waldboden selbst in der Höhe von über tausend Metern nicht gefroren, und er konnte Gianni leicht ausladen und notdürftig mit Erde und Laub bedecken. Bis sich im Sommer ein paar Touristen in diese Gegend verirrten, war der Leichnam längst von Wildschweinen und anderen wilden Tieren gefressen worden. Er hatte gehört, dass es in diesen Wäldern sogar noch Wölfe und Luchse geben sollte.
Die einzige Gefahr
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