Nachtprinzessin
mehr an diese unschöne Geschichte.
Um Viertel vor zwölf hatte er bereits eine halbe Flasche Prosecco und eine Flasche Mineralwasser getrunken und ging auf die Toilette. Als er wiederkam, sah er gerade, wie der Jüngling das Restaurant betrat.
Matthias wurde nervös und spürte, dass seine Hand mit dem Prosecco-Glas zitterte. Sein Hals wurde trocken, und er trank schneller, als er wollte. Am liebsten würde ich einen Kniefall vor dir machen, dachte Matthias, ich würde vor dir hergehen und deinen Weg fegen, damit du deine Schühchen nicht beschmutzt, ich würde dir duftenden Lavendel und Rosenblätter vor die Füße streuen, mein Prinz, lass mich dein Knappe sein!
Die Sehnsucht nach dem androgynen Knaben brachte ihn fast um, er wusste nicht, wie er den Tag bis zum Abendessen um acht, wenn er sich wieder von ihm bedienen lassen konnte, verbringen sollte.
Er trank die Flasche leer, öffnete alle Fenster weit, warf sich aufs Bett und versuchte zu schlafen, eingelullt durch die immer lauter werdenden Hafengeräusche, das Murmeln der alten Männer, das Geschrei der Fischer, das Knattern der Vespas, das Hupen der Fähren und das Brummen der Busse, die die Touristen hoch ins Bergdorf Giglio Castello brachten.
Und schließlich fiel er in einen dämmrigen Schlaf, in dem Adriano Prinz Eisenherz glich, der gerade an Bord eines Schiffes ging. Winkend bedeutete Eisenherz Matthias, seinem Knappen, auch schnell an Bord zu kommen, aber das Schiff legte bereits ab. Mit einem beherzten Sprung vom Kai sprang Matthias’ Pferd an Bord und wieherte wüst und stolz über die wagemutige Tat. Er erwartete Lob, aber Prinz Eisenherz war schon in der Kabine des Kapitäns verschwunden, aus der er die Laute eines heftigen Streites vernahm. Schwerter klirrten. Matthias riss die Kabinentür auf und sah, wie Prinz Eisenherz stolperte, wobei ihm das Schwert aus der Hand glitt. Gerade als sich der Kapitän auf den Wehrlosen stürzen wollte, durchbohrte ihn Knappe Matthias mit seinem Dolch. Anschließend funkelten die Augen des Prinzen nicht nur vor Liebe, sondern auch vor Dankbarkeit. In der Dunkelheit der Nacht warfen sie gemeinsam den Leichnam des Kapitäns über Bord. Kurz darauf zog ein schwerer Sturm auf. Das führerlose Schiff drohte zwischen den Wellenbergen zu zerbrechen. Knappe Matthias stand am Ruder, und die Wellen schlugen über ihm zusammen. Er konnte vor Müdigkeit und Übelkeit kaum noch stehen. Da hörte er ein gewaltiges Knirschen, Ächzen und Krachen und sah, wie der Mast brach. Knappe Matthias sah ihn fallen, genau in Richtung der Luke, aus der in diesem Moment Prinz Eisenherz kam, der den Kurs durch die stürmische See berechnet hatte. Matthias schrie …
… und erwachte schweißgebadet.
Mein Prinz, dachte er nur, mein über alles geliebter Prinz.
Er trat auf den Balkon, hoffte ihn zu sehen, hoffte aber gleichzeitig, ihn nicht zu sehen, um nicht verrückt zu werden.
Und in diesem Moment durchfuhr ihn ein fürchterlicher Gedanke: Der Brief beziehungsweise die Karte an die Kripo in Berlin war ein großer Fehler gewesen. Schon allein wegen Adriano hatte er schließlich vor, noch knapp zwei Wochen auf Giglio zu bleiben. War es nicht möglich, dass die Kripo, unmittelbar nachdem sie den Text entschlüsselt hatte, sich mit den Carabinieri auf Giglio in Verbindung setzte und von dem Tag an bei allen Touristen, die die Insel verließen, eine Passkontrolle durchgeführt wurde? Gut, sie hatten seine DNA , aber sie kannten seinen Namen nicht. Doch sie würden merken, dass er aus Berlin kam, somit rückte er sofort in den engeren Kreis der Verdächtigen, und sie waren ihm auf den Fersen. Außerdem bestand die Gefahr, dass sie dann von ihm einen DNA -Test forderten. Das wäre eine Katastrophe und sein Ende. Wieso war er so dumm gewesen, den Brief in seiner Wut einzuwerfen, ohne auch nur einen Augenblick zu überlegen? Es gab nur einen Ausweg: Er musste am Briefkasten warten, bis er das nächste Mal geleert wurde, und dann den Briefträger bitten, ihm den Brief wieder auszuhändigen. Was der Briefträger aber höchstwahrscheinlich nicht tun würde, da auf dem Brief kein Absender stand und er sich nicht als Eigentümer ausweisen konnte.
Es war zum Verzweifeln.
Schließlich hielt er es nicht mehr aus. Zog sich seine Mokassins an, warf sich seinen Seidenschal um die Schulter, obwohl ein leichter, warmer Wind blies und bei der Wärme kein Schal nötig war, verließ das Haus und ging direkt in die Bar.
Er bestellte sich einen Prosecco,
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