Nachtprinzessin
wenige Sekunden gedauert hatte, gab ihm der Verkehrspolizist die Papiere zurück. Dabei berührte seine Hand die von Matthias. Matthias überlegte augenblicklich, ob es aus Versehen oder Absicht gewesen war.
»Gute Fahrt«, sagte der Polizist, und ein Lächeln huschte über sein Gesicht. »Fahren Sie vorsichtig und nicht wieder wie ein Verrückter.«
Matthias konnte es nicht fassen. »Schönes neues Jahr«, stotterte er und drückte zaghaft aufs Gas.
Er konnte kaum fahren. Der Wagen gehorchte ihm nicht mehr und schlitterte durch die Stadt, so verunsichert und verängstigt war er. Seine Knie zitterten, er hatte Mühe, langsam und ruhig Gas zu geben und den Wagen nicht hüpfen zu lassen.
Fünfzehn Minuten dauerte die Fahrt noch bis zu seiner Wohnung und war eine einzige Tortur. Unendlich erleichtert stieg er aus, schloss das Auto ab und schleppte sich ins Haus. Er konnte sich überhaupt nicht erklären, warum der Polizist keine Alkoholkontrolle gemacht hatte. Ganz sicher hatte er über zwei Promille, und er wusste, dass der gesamte Innenbereich des Wagens nach Alkohol stank, wenn man getrunken hatte. Für einen nüchternen Menschen – und er ging davon aus, dass der Polizist nüchtern gewesen war – musste das unbedingt zu riechen sein.
In seiner Wohnung zog er sich einen leichten Hausmantel an und öffnete auf den Schreck noch eine Flasche Champagner. Er schenkte sich ein Glas ein und stellte die Flasche zurück in den Kühlschrank. Dann legte er sich die Brandenburgischen Konzerte auf, warf sich auf die Couch, schloss die Augen und dankte dem Himmel.
Am nächsten Morgen um neun klingelte das Telefon.
»Schön guten Morgen, Herr von Steinfeld, hier ist Dennis Holthaus, Polizeiabschnitt sieben. Wir hatten gestern die zweifelhafte Ehre, uns bei einer Alkoholkontrolle zu begegnen. Meines Erachtens waren Sie durchaus alkoholisiert.«
Matthias schwieg.
»Zu dieser Angelegenheit hätte ich noch ein paar Fragen. Wäre es Ihnen möglich, wenn wir uns treffen? Sagen wir – in einer Stunde?«
»Wo? Auf dem Revier?«
»Nein.« Die Stimme des Polizisten klang jetzt leiser. »Wenn wir die Sache nicht an die große Glocke hängen wollen, sollten wir uns privat treffen. Wie wär’s im Café Einstein Unter den Linden?«
»Einverstanden. In einer Stunde bin ich da.«
»Gut.« Der Polizist legte auf, und Matthias überlegte, was dieser merkwürdige Anruf und das Treffen zu bedeuten hatten.
Der Beamte, der aufstand und lächelte, als Matthias das Café betrat, hatte brünette, lockige Haare, war wenige Zentimeter größer als Matthias und sehr schlank.
Sie bestellten beide Milchkaffee, sahen sich an und wussten nicht so recht, was sie sagen sollten.
»Um was geht es denn?«, fragte Matthias schließlich und war fasziniert von den Augen des Mannes, die leicht ins Grünliche spielten.
»Sie gingen mir die ganze Nacht nicht aus dem Kopf«, flüsterte er. »Ich wollte Sie einfach wiedersehen.«
Matthias war zu überrascht, als dass er etwas hätte antworten können, aber ihre Blicke trafen sich.
»Ich heiße übrigens Dennis«, sagte der Polizist, als er den Becher mit dem Milchkaffee umfasste, als wollte er seine Finger wärmen. »Stört es dich, wenn wir uns duzen?«
»Aber ganz und gar nicht!« Eine Woge der Wärme durchflutete Matthias. Die Ehrlichkeit und Offenheit dieses jungen Polizisten waren einfach entwaffnend. Selten war ihm ein Mensch auf Anhieb so sympathisch gewesen.
»Ich bin Matthias.«
Dennis beugte sich vor, und sie besiegelten die Bruderschaft mit einem zaghaften Kuss auf die Wangen.
An die erste Nacht in einem kleinen Hotel in Steglitz hatte Matthias nur noch verschwommene Erinnerungen. Am ein dringlichsten blieb ihm der Geruch von Dennis’ Parfum in der Nase, frisch und kräftig, aber zugleich salzig und süß. Wie ein windiger Tag am Meer, der einen süßen Zauber hinterließ, gewürzt mit dem Geschmack salziger Lippen.
Berauscht von diesem Duft überschlug sich Matthias’ Fantasie geradezu, und wenn er die Augen schloss, war Dennis der Pegasus, der über die Wellen ritt und schließlich in die Wolken galoppierte, um im tiefen Blau des Himmels zu verschwinden.
Matthias war besessen und wie von Sinnen. Er konnte nicht mehr arbeiten, nicht mehr denken, nicht mehr planen. Konnte sich mit niemandem mehr vernünftig unterhalten, war zu keinem klaren Gedanken mehr in der Lage. Dennis war sein Universum, und die wenigen Nächte und Stunden, die sie sich irgendwie freischaufelten und füreinander
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