Nachtprinzessin
verschlossen.
Erst dann ging er zurück in sein Appartement und setzte sich mit der Zeitung auf seinen Balkon. Sein Herz raste.
Der große Artikel begann auf Seite zwei. Nach einer kurzen Zusammenfassung der beiden Fälle, über das Auffinden der Leichen und die knappe Charakterisierung der Opfer, kam ein Interview mit der Leiterin der Berliner Mordkommission, Susanne Knauer:
Bild: Frau Knauer, Sie sind die Leiterin der Mordkommission. Haben Sie es in Ihrer Laufbahn schon einmal mit einem ähnlichen Fall zu tun gehabt?
Knauer: Wenn es sich hier wirklich um einen Serientäter handelt, nicht. Nein.
Matthias war amüsiert.
Bild: Gehen Sie davon aus?
Knauer: Alle Ermittlungsergebnisse sprechen dafür. Ja.
Der Artikel machte Matthias richtig Spaß. Er stand auf und holte sich ein Glas seines besonderen Wassers, um ihn besser genießen zu können.
Bild: Was wissen Sie über den Täter?
Matthias hielt den Atem an.
Knauer: Leider noch nicht viel. Aber unsere Experten haben ein Täterprofil erstellt. Danach ist der Täter zwischen fünfzig und siebzig Jahre alt, lebt allein und hat erhebliche Kommunikationsprobleme mit seinen Mitmenschen. Er hat keine sozialen Kontakte und lebt höchstwahrscheinlich in einer völlig verwahrlosten Wohnung. Man könnte ihn als Messie bezeichnen. Eine Schulbildung hat er sicher nicht, seinen IQ schätzen wir auf unter hundert, er lebt von Hartz IV und verübt seine Morde unter Alkoholeinfluss. Falls er überhaupt eine Wohnung hat, dürfte er durch sein asoziales Verhalten auffallen, wir sind uns noch nicht einmal sicher, ob er Analphabet ist oder nicht.
Bild: Wie kommen Sie zu diesen Schlüssen?
Knauer: Die Profiler erkennen dies an seiner Vorgehensweise an den Tatorten und in Verbindung mit den Opfern. Eine primitive Charakterstruktur ist deutlich erkennbar, ich möchte aber aus ermittlungstaktischen Gründen hier nicht näher ins Detail gehen …
Matthias schleuderte die Zeitung vom Balkon ins Zimmer. Sein Puls war auf hundertneunzig. Was bildete sich diese bescheuerte Schlampe eigentlich ein, solch einen Mist in der Welt zu verbreiten? Sie hatte ja keine Ahnung! Nicht die geringste, aber entblödete sich nicht, diese Lügengeschichten herumzuposaunen, die man in aller Welt lesen konnte! Sogar auf dieser gottverdammten Insel Giglio! Diese Frau war in ihrem Beruf völlig unfähig! Er war sowieso immer der Meinung gewesen, dass Frauen bei der Polizei nichts zu suchen hatten, hier war die Quittung!
Matthias kochte. Sein Gesicht glühte, er ging in seinem winzigen Appartement hin und her wie ein Tiger im Käfig und überlegte fieberhaft, wie er reagieren, sich wehren und sich abreagieren konnte.
Und dabei kam ihm eine Idee. Warum sollte er sich nicht mit der Nachricht, dass er gerade Urlaub machte, verpackt in eine kleine Denksportaufgabe, bei der Polizei melden? Ja, das war großartig! Das war genial! Der Vollidiot, der den IQ einer Scheibe Knäckebrot hatte, schickte ein kleines Rätsel an die Intelligenzbestien der Polizei! Einfach köstlich! Denn das zeigte seine Ruhe, seine Gelassenheit und vor allem seine Überlegenheit. Es störte ihn überhaupt nicht, wenn sie die Karte akribisch im Labor durch die Mangel drehten, im Gegenteil, er würde ihnen sogar noch seine DNA -Probe dazulegen.
Matthias merkte, dass er immer bessere Laune bekam, so gut gefiel ihm der Gedanke. Er war sogar in der Lage, die Mordkommission auf Trab zu halten, wenn er verreist war und absolut nichts passierte. Das begeisterte ihn.
Matthias stand auf und holte sich einen Prosecco aus dem Kühlschrank. Er brauchte die Leichtigkeit des Seins, um einen wunderbaren Text zu erfinden.
Nach zwei Gläsern Sekt fiel ihm wieder die Verschlüsselung ein, die sie schon während seiner Schulzeit benutzt hatten, damit die Lehrerin die abgefangenen Briefe nicht lesen konnte. Sie war simpel, aber äußerst wirkungsvoll. Wer nicht wusste, wie es funktionierte, konnte sich die Zähne daran ausbeißen.
Als er fein säuberlich mit einem Kugelschreiber den verschlüsselten Text auf die Karte geschrieben hatte, riss er sich eine Wimper aus und legte sie in den Brief hinein.
Eine kleine Aufmerksamkeit für die Herren und Damen des Morddezernats.
Dann klebte er den Briefumschlag zu und adressierte ihn: An die Kripo Berlin, Frau Susanne Knauer, Mordkommission.
Er würde schon ankommen. Da war er sich ganz sicher.
Er lief auf die Straße und steckte den Brief direkt am Hafen in einen Briefkasten.
Und dann dachte er nicht
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