Nachtprinzessin
fühlte er sich wesentlich befreiter.
Er fuhr weiter bis ans Meer und stellte seinen Wagen direkt neben dem Jachthafen Porto San Rocco ab, der von der Stadt durch eine Mauer getrennt war.
Die Parkgebühr bezahlte er gleich für den ganzen Tag und schlenderte die Strandpromenade entlang. Ein Eiscafé, zwei Alimentari-Läden, drei Restaurants, zwei Schuhgeschäfte, zwei Boutiquen und ein Kiosk. Auf der Piazza eine große Post und eine ebenso große Apotheke. Die Stadt erschien ihm klinisch, unpersönlich und kalt, dennoch fragte er in dem erstbesten Hotel, nur wenige Meter von der Strandpromenade entfernt, nach einem Zimmer.
Es war kein Problem. Hundertfünfzig Euro die Nacht, inklusive Frühstück, Minibar und Fernseher im Zimmer und einen Blick aufs Meer, wenn man sich auf dem Balkon auf die Zehenspitzen stellte und mindestens eins achtzig groß war.
Matthias packte seine Sachen aus, zog sich Badehose und T-Shirt an, kaufte sich direkt vor dem Hotel Badeschuhe für zehn Euro und ein Zitroneneis und ging direkt zum Strand.
Es nahm ihm fast den Atem. Damit hatte er wirklich nicht gerechnet.
Da war kein Strand. Kein weißer Sand. Kein Blick aufs Meer oder die Küste entlang. Und keine Brandung.
Da waren nur Menschenmassen, die jeden Zentimeter des Strandes mit ihren Decken, Liegen und Sonnenschirmen bevölkerten, keinen Schritt konnte er tun, ohne in Spielzeug zu treten, es war ein durch Hüpfen unterbrochener Slalom, bis er endlich das Wasser erreichte.
Konsterniert sah er sich um. In der Ferne lagen die hellen Häuser von Castiglione della Pescaia, die fast im Dunst verschwanden. Die zehn Kilometer Strand waren braun vor Menschen, und es gruselte ihn.
Langsam tastete er sich vorwärts, versuchte bei jedem Schritt, ein wenig die auslaufenden Wellen zu erwischen, aber das war fast unmöglich. Er musste ausweichen, musste um kleine Kinder herumgehen, die kreischend Löcher gruben, er sah Väter, die in diesem Irrsinn versuchten, mit ihren Sprösslingen Ball zu spielen, Großväter, die immer wieder ins Wasser rannten, um kleine Eimerchen zu füllen, krebsrote Babys, die auf dem Arm ihrer Mutter erbarmungslos verbrannten, weil sie weder eingecremt waren, noch ein Mützchen auf dem empfindlichen Schädel hatten. Er umrundete Liebespaare, die nur mit den Füßen im Wasser lang ausgestreckt in der Brandung lagen, Gruppen von Hausfrauen, die gerade dort standen und diskutierten, wo sich der Menschenstrom entlangschob. Er wich Anglern aus, die gerade dort ihre Angeln ins Wasser hängten, wo die kleinen Kinder tobten, und war entsetzt über Kindergruppen, die sich kreischend mit nassem Sand bewarfen.
Dies war alles nicht seine Welt. Aber das Schlimmste waren die Menschen, die ihm entgegenkamen oder ihn überholten.
Fette Leiber. Feiste Bäuche, die sich über einer winzigen Badehose wölbten, behaarte, dralle Waden und Oberschenkel, die besser verborgen geblieben wären. Frauen, weit über der Zwei-Zentner-Grenze, weiß, weich und schwabbelig, denen man offenbar unter Strafandrohung befohlen hatte, einen Bikini zu tragen, um ihre Fettmassen besser präsentieren zu können. Ebenso Männer, die ihr Gewicht kaum schleppen konnten und dann im fünfzig Zentimeter tiefen Wasser erleichtert zusammenbrachen. Er sah Missbildungen, Hautkrebs, monströse Wucherungen und wundgescheuertes Fett. Er sah Körperteile, die flammend rot verbrannt waren, verdrehte Gliedmaßen, verzerrte Gesichter und verkrüppelte Kinder. Er sah das ganze Elend dieser Welt, zur Schau gestellt an einem Strand, in der Sonne der Toskana, nackt, entblößt und hemmungslos präsentiert.
Nach zweihundert Metern, die er in Richtung Castiglione della Pescaia ging, war er kurz davor, sich zu übergeben. Und seine Wut, dass er keinen Schritt unbehelligt gehen konnte und ständig angerempelt wurde, wurde immer größer.
Wer war er denn, dass er diesem ekelhaften Pöbel Platz machen musste? Dass er einer fetten Schlampe ausweichen musste, die in ihrem Leben noch nichts weiter geleistet hatte, als auf der Couch zu sitzen, Chips zu fressen und ab und zu die Beine breit zu machen, um genauso dröge, fette Kinder zu kriegen, denen nichts weiter einfiel, als sich sinnlos mit Schlamm zu panieren.
Vor dreißig Jahren hatten sich noch schöne Menschen am Strand gezeigt und andere neidisch gemacht, die Zeit war lange vorbei. Schöne Menschen gab es nicht mehr.
Es widerte ihn an.
Er zog den Bauch ein, obwohl er all diesen Übergewichtigen gegenüber Untergewicht hatte,
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