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Nachtprinzessin

Nachtprinzessin

Titel: Nachtprinzessin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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noch nicht entsorgt hatte, weil er nicht wusste, wohin damit. Ins Meer konnte er sie nicht werfen, sie würden unweigerlich wieder angeschwemmt werden. Und er wagte es auch nicht, sie in eine öffentliche Mülltonne zu stecken. Aber wenn die Carabinieri wirklich eines Tages aus irgendeinem Grund bei ihm aufkreuzen würden und die Tüten fanden, wäre er dran. Ihm blieb keine andere Wahl, als die Tüten mitzunehmen, wenn er die Insel verließ, und sie irgendwo, weit weg, in eine Tonne zu werfen.
    Die Vorstellung von all dem machte ihn wahnsinnig. Er fühlte sich nicht mehr wohl in seiner Haut und in seinem kleinen Appartement erst recht nicht.
    Vielleicht hatte er sich auch bei Luigi zu oft nach dem Fall und den Ermittlungen erkundigt? Vielleicht hatte er sich gerade dadurch verdächtig gemacht, denn normalerweise interessierten sich Touristen doch nicht für zwei Schwule, die von den Klippen fielen. Er hatte gedacht, sich durch Informationen schützen zu können, aber das war Dummheit gewesen. Dadurch hatte er sich überhaupt erst in Gefahr gebracht.
    Er musste weg. Jetzt war es genug, die Karte war längst überreizt.
    Morgen würde er abreisen. Weil er diese Insel mittlerweile hasste, weil sie ihn ängstlich und nervös machte und er sich selbst nicht mehr wiedererkannte.
    Er verbrachte eine unruhige Nacht. Zweimal stand er auf, trank ein paar Schluck seines Wassers und ging auf die Toilette.
    Danach war es ein Problem, wieder einzuschlafen. Weder auf dem Bauch noch auf dem Rücken oder auf der Seite fand er eine entspannte Position. Seine Gedanken rasten und kreisten nur um die beiden Worte: Bloß weg!
    Um sechs Uhr war an Schlaf nicht mehr zu denken. Er duschte, packte seine Sachen, verschloss das Appartement und warf den Schlüssel in einen kleinen Briefkasten vor dem Büro des behaarten Yetis. Bezahlt hatte er schon, es würde also keine Probleme geben. Dazu schrieb er eine kurze Notiz: Buongiorno, Mauro, ich musste meinen Urlaub leider ein wenig früher abbrechen, aber es war wunderschön auf Giglio. Ich habe mich gut erholt und in Ihrer Wohnung ausgesprochen wohlgefühlt. Ich würde mich freuen, vielleicht im nächsten Jahr wiederkommen zu dürfen. Nehmen Sie die zweihundert Euro, die Sie mir noch schulden, bereits als kleine Anzahlung. Molte grazie, Ihr Matthias von Steinfeld.
    Um sieben Uhr dreißig fuhr er mit seinem Wagen auf die erste Fähre, die nach Porto Santo Stefano ablegte.

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    Marina di Grosseto, Juli 2009
    Er hatte keine Ahnung, wohin er fuhr.
    Heute war Freitag. Am Montag um fünfzehn Uhr dreißig hatte er den Notartermin in Montevarchi, irgendwo musste er das Wochenende verbringen.
    Jetzt hatte er zehn Tage auf einer Insel gelebt, aber direkt am Meer war er kein einziges Mal gewesen. Hatte nicht einen Fuß ins Wasser gesetzt, sondern nur auf dem Balkon gesessen und darauf gewartet, dass die Zeit verging. Und mehr als sechshundert Meter täglich war er auch nicht gelaufen.
    Er musste sich bewegen, wollte schwimmen, so weit hinaus, wie es seine Kräfte zuließen.
    Er konnte es kaum noch erwarten.
    Von Porto Santo Stefano aus fuhr er am Meer entlang. Auf einer unausgebauten, gefährlich engen Autobahn, vom Gegenverkehr lediglich durch Palisadenwände getrennt, voller Schlaglöcher und mit einem durch die Hitze aufgequollenen und spröde gewordenen Asphalt. Schneller als neunzig zu fahren war überhaupt nicht möglich, und die Strecke zog sich unendlich.
    Die Augen fielen ihm fast zu.
    Eigentlich hatte er vorgehabt, mindestens bis Castiglione della Pescaia zu fahren, aber schließlich hatte er von der Fahrerei so die Nase voll, dass er die Ausfahrt Grosseto Sud nahm und dem ersten Hinweis »Mare« folgte.
    Zehn Kilometer lang fuhr er – wie vorgeschrieben – auf schnurgerader Strecke fünfzig und wurde pausenlos in halsbrecherischen Manövern überholt.
    Schließlich erreichte er Marina di Grosseto, die düstere Stadt am Meer, die unter gewaltigen Pinien, die keinen Sonnenstrahl hindurchließen, erstickte. Eine bedrückende Dunkelheit lag über der kleinen Stadt, gepaart mit einer Trockenheit, die unter den Nadelbäumen knisterte und durch einen einzigen Funken die ganze Stadt in ein flammendes Inferno verwandeln konnte. Er schauderte und hoffte, niemals durch diesen gespenstischen Stadtwald gehen zu müssen.
    In der Nähe einer Tankstelle hielt er an und stopfte die Mülltüten mit seinen verdreckten Sachen, die er während des Überfalls getragen hatte, in einen Müllcontainer. Danach

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