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Nachtprinzessin

Nachtprinzessin

Titel: Nachtprinzessin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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aber irgendwann sah er keine andere Möglichkeit mehr und stürzte sich ins Meer.
    Algen legten sich um seine Beine, seinen Bauch, seine Brust, sodass er strampelte, als hätte sich ein Raubfisch in seine Waden verbissen.
    Ein kleiner Junge sah ihm zu und jauchzte vor Vergnügen.
    Matthias wollte und konnte nicht zurück an den Strand. Er riss sich zusammen und schwamm hinaus. Ruhig, langsam und gleichmäßig. Nach hundert Metern hatte er keinen Menschen mehr vor sich. Da waren nur noch er und die Weite des Meeres.
    Allmählich entspannte er sich und schwamm ruhig und stetig weiter.
    Er verlor jegliches Gefühl für Zeit und Entfernung, tauchte ein in die Wellen und fühlte sich stark, als würde er endlos so weiterschwimmen können, bis nach Elba, auch wenn es einen Tag und eine Nacht dauern würde.
    Irgendwann drehte er sich auf den Rücken und erschrak. Häuser, Restaurants und Bars waren nur noch winzige Punkte am Horizont, in unerreichbarer Ferne. Wie Stecknadelköpfe hinter dem Strand, einem lang gezogenen Strich.
    Das schaffe ich nicht, dachte er.
    Also war es das jetzt. Ich werde ertrinken. In Schönheit, an einem warmen Sommertag vor der Küste der Toskana. Allein in den Fluten. Lau und schmeichelnd, aber stärker als ich. Ich werde untergehen, nicht in der Nähe von schreienden Kindern oder pfeifenden Bademeistern, sondern einfach hier in der unendlichen Weite im Meer versinken. Wahrscheinlich nie wieder auftauchen, einfach verschwunden sein von dieser Welt.
    Und dieser Gedanke gefiel ihm.
    Er versuchte zu singen, aber als er Salzwasser schluckte, hörte er damit auf.
    Angst hatte er nicht, als er langsam in Richtung Ufer schwamm. Wasser war ein Element, in das er eingetaucht und dem er sich ausgeliefert hatte.
    Als er schließlich regelrecht an den Strand geschwemmt wurde und es merkwürdig fand, Sand unter den Füßen zu haben, hatte er kein Gefühl dafür, wie lange er geschwommen war. Eine Stunde, zwei Stunden oder einen halben Tag?
    Er hatte nicht gekämpft und war doch nicht ertrunken.
    Das Meer liebte ihn.
    Stolz schritt er durch die öltriefenden Leiber, schaffte es, all das zu ignorieren, was er wirklich nicht sehen wollte, und verließ den Strand.
    In seinem Zimmer duschte er, wusch sich den Sand von den Füßen und empfand einen unglaublichen Frieden.
    Es war richtig, dass er Adriano und Fabrizio von den Klippen gestürzt hatte. Er würde jeden von den Klippen stürzen, wenn er die Gelegenheit dazu hätte. Schade wäre es um keinen, im Gegenteil, es wäre besser für die Welt.
    Und niemand würde ihm je auf die Spur kommen.

38
    38
    Ambra, Juli 2009
    Die Hitze hielt an. Neri hatte in seinem Büro alle Papiere unter schweren Gegenständen wie Locher, Aschenbecher, Blumenvase, Wasserflasche oder Telefon gesichert und hielt sein Gesicht dem Ventilator entgegen. So konnte er bewegungslos sitzen, ohne irgendetwas zu denken. Jedenfalls kam es ihm so vor.
    Alfonso war seit zwei Wochen in Urlaub und hatte schon drei Karten von der Insel Elba geschickt, die Neri nach kurzem Überfliegen vor Wut in winzige Fetzen zerrissen hatte.
    Am Donnerstag kam um fünfzehn Uhr ein Anruf. Die Witwe Carmini war in Tränen aufgelöst und ziemlich hysterisch. Sie behauptete, dass jemand in ihrem Haus eingebrochen habe, während sie Siesta machte. Das Merkwürdige war, dass sie fünf weiße Terrier besaß, die sie jeden Morgen schamponierte, duschte und hinterher zwei Stunden föhnte und bürstete. Die armen Viecher hatten von dem Einbruch offenbar nichts mitbekommen.
    Neri fand es zu heiß, um zu lachen.
    Er hatte zwar nicht die geringste Lust, sich die haarsträubende Räuberpistole der Witwe Carmini anzuhören, aber ihm blieb nichts anderes übrig, als seine Uniformjacke anzuziehen und sich auf den Weg zu machen.
    Bis zur Witwe waren es nur ungefähr vierhundert Meter, aber er fuhr dennoch mit dem Auto, das ihm vorkam wie eine glühende Blechbüchse, die auf dem Feuer gestanden hatte.
    Das Haus der Witwe war schmucklos und hatte einen ehemals weißen Anstrich, der bereits an vielen Stellen zusammen mit dem Putz abbröckelte, sodass das Haus aussah, als hätte es einen unangenehmen Ausschlag. Im winzigen Vorgarten stand eine rot-grüne Plastikrutsche, obwohl Clara Carmini – wie Neri wusste – gar keine Enkelkinder hatte.
    Aber er beschloss, sich darüber keine Gedanken zu machen. Warum stellten sich Menschen eine Bank in den Garten, wenn sie nie darauf saßen? Warum horteten sie Holz in der Garage, wenn sie nur eine

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