Nachtraeglich ins Glueck
Er senkte die Stimme. „ In Hailsboro leben freundliche Menschen. Was glaubst du, würden sie dazu sagen, dass ihre Kinderärztin ihr neugeborenes Baby einfach abgeschoben hat, weil es ihr zu anstrengend war, sich um das Kind zu kümmern, Sam?“
„Das stimmt nicht!“
Er ging einfach und ließ sie stehen.
Sam war völlig außer sich und sank betäubt auf die nächste Parkbank. Sie rief sich in Erinnerung, was damals passiert war, nachdem sie aufgewacht war. Ihre Mutter hatte ihr erzählt, dass das Baby tot sei und dass Drew einfach gegangen war. Sam erinnerte sich daran, wie sehr sie darunter gelitten hatte, dass er nicht bei ihr war, um sie zu trösten. Plötzlich wurde ihr schlecht und sie übergab sich neben eine Parkbank. Zitternd schlang sie die Arme um sich und merkte, wie schwindelig ihr war, also steckte sie sich ihren Kopf zwischen die Beine und versuchte tief ein und auszuatmen.
Irgendetwas musste fürchterlich schief gelaufen sein! Was hatte Drew damit gemeint, dass sie ihr Baby abgeschoben hatte? Das hatte sie nicht getan! Niemals.
Als plötzlich ihre Wehen begonnen hatten – drei Wochen vor dem errechneten Geburtstermin –, war sie allein gewesen, weil Drew damals in San Francisco gearbeitet hatte. Sam hatte während der komplizierten Schwangerschaft nicht umziehen wollen, sondern war in Chicago geblieben. Als sie in die Klinik eingeliefert wurde, bekam sie einen Kaiserschnitt und verlor viel Blut. Erst nach Tagen war sie wieder zu sich gekommen und hatte erfahren, dass das Baby gestorben war. Von Drew hatte sie nichts gehört ...
Sam war damals viel zu geschockt und geschwächt gewesen, um irgendetwas um sich herum wahrzunehmen. Kurz vorher hatte sie sich mit Drew gestritten, aber dass er sich von ihr trennen würde, hatte sie nicht glauben können. Noch heute spürte sie den Schmerz über seine Gleichgültigkeit und sein Verschwinden.
Sie schüttelte den Kopf. Das war alles viel zu unwirklich. Niemals hätte sie geglaubt, Drew wieder zu sehen … und jetzt wohnte er hier. In Hailsboro. Und Mattie … Mattie sollte das Kind sein, das sie damals für tot gehalten hatte? Nein, das konnte nicht stimmen. Sie hätte doch merken müssen, dass ihr Baby nicht gestorben war! Ihr Arzt oder die Krankenschwestern hätten ihr doch nicht versichert, dass das Baby an der Schwangerschaftsvergiftung gestorben sei, wenn es quicklebendig gewesen war! Und auch ihre Mutter hätte sie niemals angelogen! Warum hätte sie das tun sollen? Was brachte es Drew, ihr solche Lügen aufzutischen?
Fassungslos brach Sam mitten auf der Parkbank in Tränen aus. Sie wollte nicht glauben, dass Drew die Wahrheit sagte, denn das hätte bedeutet, dass sie nicht nur ihm Unrecht getan hätte, nein, es hätte auch bedeutet, dass sie ihren eigenen Sohn nicht kannte – das Baby, das sie acht Monate in sich gespürt und verzweifelt herbeigesehnt hatte. Das Baby, das sie betrauert und darüber fast den Verstand verloren hatte.
Ihr klingelten die Ohren, während der widerliche Geschmack nach Erbrochenem in ihrer Kehle steckte. Beinahe wäre sie an dem Verlust ihres Babys und an Drews plötzlichem Verschwinden zerbrochen. Erst vor kurzem hatte sie begonnen, sich endlich mit ihrer Vergangenheit auszusöhnen. Wie sollte sie nun damit klarkommen, dass es vielleicht alles ganz anders gewesen war?
5. Kapitel
„Ist er nicht süß?“
Abgelenkt drehte Sam den Kopf nach links und wandte so den Blick von dem braunhaarigen Mann ab, der lässig die Hände in den Hosentaschen vergraben hatte und nun den Kopf in den Nacken warf, um laut aufzulachen.
„Wen meinst du?“, fragte sie betont gleichgültig und knibbelte an einem alten Sticker herum, den der vorherige Besitzer an die Kühlschranktür geklebt haben musste. Sie stand mit ihrer Mitbewohnerin Danny in der Küche ihrer gemeinsamen Studentenwohnung und gab ihr Bestes, um sich nicht anmerken zu lassen, dass der gutaussehende Student, der vor ein paar Minuten mit seinen Freunden auf ihrer Party erschienen war, es mit einem läppischen Lächeln geschafft hatte, ihre Knie weich werden zu lassen.
„Du schaust doch selbst ständig in seine Richtung“, feixte Danny und holte ein Sechserpack Bier aus dem Kühlschrank, nachdem sie Sam lachend beiseite geschoben hatte. Auch ihre Wangen glühten vor Aufregung.
Als Sam das Bier sah, bekam sie sofort ein schlechtes Gewissen. Ihre Mutter hatte ein furchtbares Theater veranstaltet, als Sam in kein Studentenwohnheim hatte ziehen
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