Nachtruf (German Edition)
zu. Er betrachtete die Kette, die sie um den Hals trug. Es war derselbe Amethyst-Anhänger, den sie auf Brians Vernissage getragen hatte. Mit den Fingerspitzen berührte er den Edelstein. Sie spürte, wie ihr Herz stärker schlug.
„Wollen Sie mir helfen, ins Ascension zu kommen, oder wollen Sie den Lockvogel für Dante spielen?“ Offenbar hatte er ihre Bemerkung vom vorherigen Abend nicht vergessen.
„Ich vertraue Ihnen“, sagte Rain nur.
Ein bedeutsames Schweigen entstand zwischen ihnen, bisTrevor in die hintere Tasche seiner Jeans griff und ihr eine Fotografie reichte. Aber er warnte sie vorher. „Dieses Bild wurde heute Nachmittag während der Obduktion gemacht. Es handelt sich um unser zweites Opfer.“
Rain sah sich den Schnappschuss an. Auch dieses Mädchen war bis fast zum Kinn von einem Tuch bedeckt. Mit geschlossenen Augen lag die Kleine auf einem Tisch aus Edelstahl. Sie war mager, wirkte verwahrlost. Ihre Haare hatten einen überaus kräftigen roten Farbton. Es wirkte, als ob das Mädchen sie mit Kool-Aid , Geschmacksrichtung Himbeere, gefärbt hätte.
„Sie ist so jung.“ Verstört reichte Rain ihm das Foto zurück.
Er schob es wieder in seine Tasche. „Was wissen Sie über Vampir-Goths?“
„Tja, eigentlich nur, dass es sie gibt. Sie stellen eine kleine Subkultur innerhalb der Gothic-Szene dar. Die meisten von ihnen beschränken sich allerdings auf Rollenspiele.“
„Das ist alles?“
„Ein paar von ihnen gehen einen oder zwei Schritte weiter“, gab sie zu. „Einige wenige behaupten, sie würden das Blut von Tieren trinken oder die freiwilligen Spenden von Menschen.“
„Was ist mit nicht ganz so freiwilligen Spenden?“
„Darüber möchte ich lieber gar nicht nachdenken.“ Sie ging zum Beistelltisch und nahm die kleine Tasche zur Hand, die sie mitnehmen wollte. Darin waren ein Lippenstift, ihr Handy und ein paar weitere persönliche Dinge. Als sie sich wieder zu Trevor umdrehte, stellte sie fest, dass er sie beobachtete.
„Es kann sein, dass Dante heute Abend dort sein wird. Wenn das so ist, dann wird er sicher alles daransetzen, in Ihre Nähe zu gelangen.“ Sein Blick ruhte noch auf ihr, als sie wieder zu ihm trat. „Sie müssen vorsichtig sein.“
„Das werde ich.“
„Sie sehen wirklich aus wie sie“, sagte er leise.
Er wartete, bis sie die Alarmanlage des Hauses aktiviert hatte. Dann geleitete er sie nach draußen zum Auto. Der Duft von Nachtjasmin hing in der warmen Luft, als Trevor die Beifahrertüröffnete und Rain in den Wagen stieg. Auf der anderen Straßenseite, im Schatten eines knorrigen Pekannussbaumes, stand ein Streifenwagen des NOPD. Rain konnte die Polizisten im Inneren nicht erkennen, doch sie erinnerten sie daran, dass sie eine Frau war, die beschützt werden musste.
Das Ascension war wie eine zum Leben erwachte ruchlose Fantasie. Der Club hatte seinen Platz in einer großen, alten Kirche gefunden. Die Tanzfläche vibrierte unter den schweren synthetischen Beats, während die Tanzenden sich unter dem zwei Stockwerke hohen Kuppeldach drehten. Massive Kronleuchter aus Eisen hingen an schweren Ketten herab, und Scheinwerferlicht zuckte durch den riesigen Raum und beleuchtete die Bogenfenster aus Buntglas. Ein verziertes Kreuz hing über der Kanzel der Kathedrale, die jetzt als Bühne für Liveauftritte verwendet wurde.
Rain stellte sich auf die Zehenspitzen und neigte sich zu Trevor. Sie legte eine Hand auf seine Schulter und beugte sich an sein Ohr, damit er sie über die Synth-Pop-Musik hinweg hören konnte. „Ist es so, wie Sie es erwartet haben?“
„Ich glaube, Schwester Clarice, meine Lehrerin in der dritten Klasse, hat sich gerade im Grabe umgedreht. Wofür brauchen sie eigentlich die Beichtstühle?“
„Das wollen Sie gar nicht wissen.“
Während das ganze Ambiente zweifellos „gothic“ war, richtete sich der Hauptbereich des Clubs doch an ein gemischteres Publikum. Trevor hielt Rains Hand fest, als sie sich ihren Weg durch die Feiernden bahnten. Eine Galerie über ihren Köpfen wies darauf hin, dass es einen zweiten Stock geben musste, wo sich ein Loungebereich befand. Gäste lehnten sich über die Brüstung und warfen glitzerndes schwarzes Konfetti auf die Menge hinunter.
Rain zeigte zu einem steinernen Bogengang, der mit schweren roten Vorhängen verhängt war.
„Es gibt einen Raum im Keller. Es ist vielleicht am besten,dort mit den Befragungen zu beginnen.“ Ein Mann mit einem Stachelarmband und mehreren Piercings rempelte
Weitere Kostenlose Bücher