Nachtruf (German Edition)
dass er ihr keine Frage gestellt, sondern den Satz wie eine Feststellung formuliert hatte. Eine weitere Bestätigung dafür, dass er nachgeforscht hatte. Sie hatte es nicht anders erwartet. Ihr Blick fiel auf das Glas in seiner Hand. Am vorigen Abend auf Brians Vernissage hatte sie ihn auch nur Mineralwasser trinken sehen.
„Sie trinken nicht, oder? Noch nicht mal nach Dienstschluss?“
„Nein.“ Er ging nicht weiter darauf ein. Stattdessen starrte er auf einen hochgewachsenen Mann in einem Rüschenhemd und einem schwarzen Mantel. Der Typ drängte sich durch die Menge hindurch und steuerte auf sie zu.
„Rain!“, rief Armand Baptiste aus einiger Entfernung. Er hatte wallendes schwarzes Haar, und seine Augen waren mit Eyeliner nachgezogen. Er war deutlich älter als die anderen, die diesen nur Goths vorbehaltenen Bereich des Clubs aufsuchten. Doch sein Gesicht besaß noch immer eine leicht androgyne Schönheit.
„Wer ist das?“, fragte Trevor mit leiser Stimme.
„Armand.“ Rain hob die Hand und winkte ihm zu. „Neben dem Ascension besitzt er auch einen erfolgreichen Antiquitätenhandel.Außerdem ist er Mitglied des Gemeindevorstandes des Orleans Parishs.“
„Das ist nicht Ihr Ernst, oder?“
„Goths gibt es in jedem Alter, und sie kommen aus allen Gesellschaftsschichten“, entgegnete Rain. „Armand ist ein Senior der Gothic-Szene. Tagsüber, für geschäftliche Termine und zu Sitzungen im Gemeinderat kleidet er sich ganz normal, aber …“
Sie verstummte, als Armand sie erreichte. Er verbeugte sich und drückte ihr formvollendet einen Kuss auf den Handrücken.
„Sie sehen entzückend aus, meine Liebe. Und Sie haben eine solche Ähnlichkeit mit Desiree, dass es schmerzt. Ich freue mich, dass Sie endlich meiner Einladung gefolgt sind und uns hier besuchen.“ Mit seinen silbrig-blauen Augen blickte er anerkennend Trevor an. „Haben Sie etwa einen neuen Liebhaber, Rain?“
Sie spürte, wie sie rot wurde. „Das ist Special Agent Trevor Rivette. Er ist vom FBI.“
Armand hob die Augenbrauen, und Trevor zog das Foto aus seiner Tasche. „Kennen Sie dieses Mädchen?“
„Sollte ich?“, fragte Armand gleichgültig.
„Sagen Sie es mir. Die Leiche der Kleinen wurde letzte Nacht gefunden. Sie hatte einen Stempel von Ihrem Club auf der Hand.“
Rain bemühte sich, Trevors Vorpreschen abzufangen. „Wir versuchen gerade, herauszufinden, mit wem das Mädchen gesprochen haben könnte oder ob es den Club mit jemandem zusammen verlassen hat.“
„Zwei Detectives waren heute bereits hier und haben meinen Clubmanager dasselbe gefragt. Ich werde Ihnen dieselbe Antwort geben, die er den Detectives gegeben hat. Ich habe das Mädchen niemals zuvor gesehen.“
„Schauen Sie sich das Bild noch einmal genau an“, forderte Trevor ihn auf. „Es sei denn, Sie wollen, dass ich anfange, Sie über den Absinth zu befragen, den Sie verbotenerweise ausschenken. Oder über die Minderjährigen, die sich mit Drinks in der Hand hier unten aufhalten.“
Armand seufzte. Er hob die Brille hoch, die er an einer Ketteum den Hals trug, und setzte sie auf. Dann nahm er das Foto und erklärte: „Hübsches Ding, nehme ich an. Ob die Kleine allerdings hier im Club war, kann ich nicht sagen. Darauf habe ich nicht geachtet.“
„Dann macht es Ihnen sicher nichts aus, wenn wir uns mit Ihren Gästen unterhalten, oder?“
„Wie Sie wollen.“ Armand reichte Trevor das Foto zurück und wies zu einer Gruppe Teenager in der Ecke.
„Diese Mini-Gruftis da“, brummte er. „Mit denen können Sie anfangen.“
Trevor neigte sich vor. „Wie bitte?“
„Kinder-Goths. Die sind fast jeden Abend hier. Unser Clan tut sein Bestes, um nachsichtig mit ihnen zu sein, aber sie können ein ziemlich rüder Haufen sein. Sie werden für Sie hilfreicher sein als die älteren Gäste. Wenn das Mädchen hier gewesen ist, war es wahrscheinlich mit denen zusammen.“
„Danke, Armand“, sagte Rain.
„Stets zu Ihren Diensten.“ Er lächelte, doch die Zuneigung, die vorhin in seinem Blick gestanden hatte, war aus seinen Augen gewichen.
„Sie haben einen neuen Freund“, bemerkte Rain ironisch, sobald Armand die Bar verlassen hatte.
Trevor trank sein Wasser aus und stellte das Glas auf den Tresen. Währenddessen behielt er die Teenager, die wie ein Rudel in Lederklamotten beieinanderstanden, genau im Auge. Schließlich legte er noch ein paar Geldscheine dazu, um auch ihre Drinks zu bezahlen.
„Dann reden wir mal mit den Lost Boys .“
14.
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