Nachtruf (German Edition)
sie bei dem Versuch an, sich an ihr vorbeizudrängen. Trevor fasste Rain an der Taille und zog sie zu sich heran.
„Sind Sie okay?“
Sie nickte und hob den Blick zu ihm. Schmetterlinge machten sich in ihrem Bauch bemerkbar, als ihr bewusst wurde, dass er sie gerade an die harten Muskeln seiner Brust drückte.
„Ich möchte Sie nicht aus den Augen verlieren“, ermahnte er sie. Er nahm sie wieder bei der Hand, als sie auf den Torbogen zusteuerten, doch ein massiger Mann in Lederhose und schwarzer Weste auf nackter Haut stellte sich ihnen in den Weg. Dunkles Make-up umrahmte seine Augen.
„Privatclub.“ Er bedachte Trevor mit einem warnenden Blick. Der wiederum schien im Begriff, jeden Moment seine Marke zu zücken und sich den Weg frei zu machen. Als der Mann jedoch Rain erblickte, leuchteten seine Augen plötzlich auf. Er trat zurück und verbeugte sich beinahe ehrfürchtig.
„Entschuldigen Sie vielmals, Dr. Sommers. Bitte treten Sie ein.“
„Werden wir erwartet?“
„Armand sagt, Sie wären jederzeit willkommen.“ Der Türsteher betrachtete Trevor noch immer mit feindseliger Miene, hielt ihn aber nicht zurück, als er Rain hineinfolgte.
„Armand?“, fragte Trevor, als Rain den Samtvorhang zur Seite schob.
„Ihm gehört das Ascension “, antwortete Rain. „Außerdem ist er ein großer Fan von Desiree.“
Sie betraten einen schwach beleuchteten, tunnelartigen Korridor. Hier war es deutlich kälter als auf der überhitzten Tanzfläche. Die Klänge der Livemusik wurden nach und nach leiser, je weiter sie dem Gang folgten. Irgendwann gelangten sie an eine steinerne Treppe, die geradewegs in die Hölle hinabzuführen schien.
Die Stufen waren steil und endeten in einem schummrigenVorraum, der sich wiederum in einen größeren Raum öffnete. Als sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, nahmen die Umrisse Gestalt an – in Schwarz gekleidete Menschen mit bleichen Gesichtern. Rain war schon einmal im Ascension gewesen, aber nie in diesem nichtöffentlichen Bereich. Die Einrichtung war schlicht gehalten. Sofas standen entlang der fensterlosen Wände, und in der hinteren Ecke befand sich eine holzvertäfelte Bar. Es roch feucht und modrig. Der Geruch erinnerte Rain daran, dass sie sich unter der Erde befand. Sie spürte, wie die Anwesenden ihre Blicke auf sie und Trevor richteten. Ein Flüstern ging durch den Raum. Der Name Desiree schien in der Luft zu schweben.
Eine Frau hakte sich bei Rain unter, als sie vorbeiging. Ihre schwarzen Haare hingen ihr in die mascaraverschmierten Augen. „Du solltest eigentlich tot sein, Süße!“
„Ich bin nicht Desiree“, versetzte Rain kalt, doch die Frau verstärkte ihren klauenartigen Griff um Rains Arm noch.
„Sie beten dich hier an, aber ich kenne die Wahrheit! Du bist eine kleine Hure! Du hast verdient, was dein Alter dir angetan hat …“
Trevor löste den Griff der Frau. „Fass sie noch einmal an, und du bekommst es mit mir zu tun.“
Sie grinste ihn spöttisch an, zog sich aber unvermittelt wieder in die Schatten zurück.
„Ein Fan?“, wollte er wissen. Er legte seinen Arm beschützend um Rain und schob sie in Richtung Bar.
„Eher eine Stalkerin.“ Rain betrachtete die halbmondförmigen Abdrücke, die die Fingernägel der Frau auf ihrer Haut hinterlassen hatten. „Ich habe sie schon einmal draußen vor dem WNOR-Studio gesehen.“
„Und ich dachte, ich müsste mir nur wegen Dante Sorgen machen.“ An der Bar bestellte Trevor sich ein Wasser, und Rain verlangte nach einem Rotwein. Als er ihr das Weinglas reichte, sagte er ruhig: „Zu meiner Zeit hätte man die Typen hier als Punkrocker bezeichnet.“
Sie trank einen Schluck Wein. „Tatsächlich ist es so, dass die Gothic-Bewegung ein Ableger des Punks aus den Siebzigern ist.“
„Gehörte Desiree auch dazu? Zu den Punks?“
„Desiree passte in keine Schublade. In Wirklichkeit war sie eher eine Popsängerin. Aber das Gefühl, die Stimmung, die sie vermittelte, war schon ziemlich gothic . Sie verströmte dieses gruselig-sinnliche New-Orleans-Feeling.“ Rain starrte in die burgunderrote Flüssigkeit. „Mein Vater hingegen stand definitiv am Rande der Punkszene. Ich glaube, Desirees Verbindung mit ihm sowie die Umstände, unter denen sie starb, sind die wahren Gründe dafür, dass die Goths sie als eine Art Ikone für sich vereinnahmt haben.“
„Gavin Firth war Ihr Vater“, sagte Trevor. „Der britische Gitarrist der Dreads .“
„Ja.“ Sie wurde still und bemerkte,
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