Nachts unter der steinernen Bruecke
glauben, vom Stamme Rüben seid«, klärte ihn der junge Erzherzog auf. »Denn die vom Stamme Rüben haben, so hat man mich in Spanien gelehrt, um den Rock und den Mantel unseres Heilands gewürfelt. Und darum ist ihren Nachfahren auferlegt, daß sie zeitlebens mit alten Kleidern Handelschaft treiben müssen und nichts anderes damit gewinnen können als Sorge und wiederum Sorge und Mühe und Plag.«
»Davon steht nichts in den Büchern, die unsere Weisen geschrieben und uns hinterlassen haben«, wendete kopfschüttelnd der Altkleiderhändler ein. »Auch bin ich nicht vom Stamme Rüben. Ich bin aus dem Priestergeschlecht, vom Stamme Lewi.«
Aber auch über den Stamm Lewi wußte der junge Erzherzog Bescheid.
»Die vom Stamme Lewi, die haben auch ihren Teil«, berichtete er. »Einer von ihnen hat unseren Herrn Jesus mit Essig und Galle getränkt, und darum haben die aus diesem Geschlecht allezeit Durst und mögen doch nichts Rechtes trinken.«
»Ist das so?« fragte ein wenig spöttisch der Altkleiderhändler. »Ich nämlich trinke, wenn ich Durst habe, recht gerne einen halben Schoppen Wein.«
Der junge Erzherzog ließ sich durch diesen Einwand nicht beirren.
»Dann seid Ihr erlöst«, bedeutete er dem Trödler, »und der Fluch ist von Euch genommen.«
Und um ihm zu zeigen, daß er auch sonst über die Juden und ihre Historie wohl unterrichtet sei, wechselte er den Gegenstand seiner Erörterungen.
»Ihr Juden«, sagte er, »rühmt und gloriert euch, ihr hättet einen weisen Mann gehabt, den König Salomo. Der hat sich aber mit siebzig Ehefrauen und dazu noch mit dreihundert Metzen behängt, war so weise nicht.«
»Er wußte, wieviel Süßes und wieviel Bitteres unter einem Weiberrock verborgen ist«, entgegnete ihm der Altkleiderhändler. »Aber das eine mögt Ihr wissen: Nehmt alle Könige unserer Tage, ja den Römischen Kaiser selbst, so sind sie nur ein Fünklein von König Salomons Majestät.«
Der junge Erzherzog nahm diese Belehrung recht unwillig auf. Sein geliebtester Herr Vater stand für ihn weit über dem König Salomo.
»Ihr sprecht mit wenig Devotion von seiner Majestät, dem Römischen Kaiser«, hielt er dem Juden vor.
»Ich bin sein getreuer Kammerknecht«, sagte der Händler. »Bin auch mit Darreichung meiner Steuern und Abgaben jederzeit richtig befunden worden. Der Herr erhöhe seine Macht! Möge das Schwert der Feinde niemals in seine Länder dringen!«
Die Türe war sachte aufgetan worden, und eine sonderbare kleine Gestalt trat in den Laden, ein Knabe, der in viel zu großen Schuhen ging, und der Rock, den er trug, war an allen Ecken und Enden geflickt und sein Mützlein war so oft gewaschen worden, daß es seine Farbe verloren hatte. In den Händen hielt er einen Sack aus grobem Leinen, der nur zu einem kleinen Teil gefüllt war.
»Da bin ich«, sagte er und legte zwei Kupfermünzen auf den Ladentisch. »Gepriesen sei der Name, ich habe mich auch heute mit Bezahlung einfinden können.«
»Gesegnet sei dein Kommen!« grüßte ihn der Altkleiderhändler und strich die Kupfermünzen ein, und der Knabe ging in den Winkel und machte sich dort mit dem Haufen alter Kleider zu schaffen.
»Er zahlt mir«, erklärte der Altkleiderhändler dem jungen Erzherzog, der ihn fragend angeblickt hatte, »zwei Dickpfennige, wenn er sie hat, aber nicht alle Tage hat er sie. Und dafür gehört ihm alles, was er in den Taschen der Kleider findet, die ich an diesem oder an dem vorangegangenen Tag gekauft habe. Was er findet? Immer die gleichen Dinge. Ein Stück Brot oder Fladen, Nüsse, einen Apfel oder eine Kohlrübe, ein Stück Bindfaden, einen Knopf, einen Nagel, ein leeres Fläschchen, — das alles kommt in seinen Sack. Bisweilen findet er nichts, denn es gibt auch Leute, die die Taschen ausleeren, bevor sie den Rock zum Händler tragen. Manchmal wieder findet er Schätze: ein Stück Band, einen Handschuh, ein Knäuel Wolle und, wenn es hoch hergeht, einen Zinnlöffel oder gar ein Tüchlein. Und damit, Herr, Ihr werdet es nicht glauben, ernährt er seine Mutter und zwei jüngere Geschwister. Geld? Nein, Geld hat er noch nie gefunden. Das lassen die Leut', die ihre Kleider verkaufen, nicht in den Taschen.«
»Herr der Welt! Erheb mich nicht und wirf mich nicht hinab!« kam plötzlich die Stimme des Knaben aus der Staubwolke, die über dem Kleiderhaufen lag.
»Was gibt es? Was hast du gefunden?« fragte der Altkleiderhändler.
»Gepriesen sei der heutige Tag!« sagte der Knabe und kam mit dem Taler in der Hand aus
Weitere Kostenlose Bücher