Nachts unter der steinernen Bruecke
zugesagt. Aber sie sind mir nicht bestimmt, und ich muß in Armut bleiben.«
»Acht Gulden?« rief der Flickschneider, »meinst du, die läßt ein Jude alle Tage aus seinem Ärmel fallen? Los, mach dich an die Arbeit, stell ihn zufrieden, daß ich nicht ein Pfui mit dir einlege.«
Und er begann, als müsse er dem Maler mit gutem Beispiel vorangehen, eifriger als zuvor an dem Futter des Surtout zu flicken.
Der Maler war zu dem vermeintlichen Schreiber an das Kohlenbecken getreten und wärmte sich die Hände.
»Wenn ich eines Menschen Bildnis male«, sagte er mehr zu sich als zu ihm, »so ist's mir nicht genug, daß ich sein Gesicht betrachte, das wandelbar ist und heute so aussieht und morgen anders. Ich stelle ihm Fragen, und ich lasse nicht nach, ehe ich ihm nicht ins Herz geblickt habe. Denn nur so bringe ich etwas Gutes zuwege.«
»Dieses Verfahren«, meinte der Kaiser, »macht Euch Ehre und wird vielleicht dereinst Euren Ruhm begründen.«
Der Maler Brabanzio machte eine verächtliche und abwehrende Geste, so als wären Ruhm und Ehre für ihn nur eine Handvoll Wind.
»Es geht mir um die acht Gulden«, erklärte er. »Ich soll das Bild seiner Eheliebsten malen, die ihm gestorben ist. Ich kann nicht wie Ulysses zu den Toten hinabsteigen. Aber vielleicht kann ich wie das Weib von Endor ihren Schatten beschwören.«
Und er wandte sich, als hätte er nunmehr seinen Entschluß gefaßt, an den Mordechai Meisl:
»Ihr sagtet, sie sei so schön gewesen. Von welcher Art war ihre Schönheit?«
»Schön war sie wie der silberne Mond, schön und fromm wie Abigail«, sagte der Mordechai Meisl und seine Augen blickten in die vergangene Zeit. »Die Krone meines Hauptes hat Gott mir genommen. Er hat wohl viele und große Sünden an mir gefunden, und so hab' ich sie verlieren müssen. Ich kann nicht mehr lachen mit den Glücklichen, Leid und Jammer sind über mich gekommen wie bewaffnete Häscher.«
»Daraus die Veränderung und Unstetigkeit des Glücks wohl zu erkennen ist«, bemerkte der Schneider.
»Von welcher Art ihre Schönheit war, sollt Ihr mir sagen«, erinnerte ihn der Maler.
»Wie ein Ganzopfer war sie, so schön und ohne Fehle«, sprach der Mordechai Meisl weiter. »Wie eine Blume des Feldes war sie, sehr lieblich in den Augen derer, die sie sahen. Ja, und sie konnte auch schreiben, lesen und Rechnungen machen, aus Seide verfertigte sie kleine Handarbeiten, und wenn ich mit ihr bei Tische saß, wartete sie mir artig auf. So klug war sie, hätte vor dem Kaiser reden können. Sie hatte eine Katze, die liebte sie sehr, gab ihr alle Tage Milch. Manchmal war sie traurig. Sie sagte, die Stunden gingen so langsam dahin und sie wollte, es wäre schon Nacht.«
»Ficht es mit deinem Schöpfer aus!« sagte der Schneider unwirsch. »Wer kann wider Unglück?«
»Wir aßen zu Abend«, fuhr der Mordechai Meisl fort, »und dann gingen wir zu Bett. Sie schlief, sie atmete ruhig. In der Nacht hörte ich sie laut stöhnen und um Hilfe rufen, — ja, sie rief um Hilfe. Ich beugte mich über sie ...«
Er stockte. Nach einer Weile erst sprach er weiter:
»Die Nachbarn kamen. Ich weiß nicht, was dann geschah. Als ich zur Besinnung kam, sah ich auf der Morgenseite der Stube das kleine Öllicht brennen, das Seelenlichtlein, und da wußte ich, daß sie gestorben war.«
Leise sprach der Kaiser die Worte des Predigers:
»Ein Hauch sind die Menschenkinder, auf der Waage schnellen sie empor, sind leichter als ein Hauch allesamt.«
»Sind leichter als ein Hauch allesamt«, wiederholte der Meisl und er warf einen Blick auf den Kaiser, als wäre er erstaunt, daß die heiligen Worte aus dem Mund eines Unwissenden kamen, der niemals die Cheder, das Lernzimmer der Judenkinder, besucht hatte.
»Der Höchste«, fuhr er dann fort, »hat es beschlossen. Was gesehen ist, ist nach seinem Willen geschehen. Sie ist tot, und ich habe keine Freude mehr auf Erden. Der Tag vergeht in Mühe und Plage, bisweilen bringen die Nächte Vergessen, doch an jedem neuen Morgen kommt das alte Leid.«
Und wie das der Mordechai Meisl sagte, da widerfuhr dem Kaiser etwas Seltsames. Es war ihm, als hätte er selbst diese Worte gesprochen und nicht der Jude. An jedem neuen Morgen kommt das alte Leid, — sein eigenes Schicksal war in diesen Worten umschlossen, ihm erging es so seit jener Nacht, in der ihm seine Traumgeliebte entrissen worden war.
Er saß verloren in Gedanken. Was der Maler und der Jude miteinander sprachen, hörte er nicht mehr. Er vergaß, wo er sich befand. Von
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