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Nachts unter der steinernen Bruecke

Nachts unter der steinernen Bruecke

Titel: Nachts unter der steinernen Bruecke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Perutz
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sich drei Personen. Der Flickschneider, der eine Brille trug, die er unaufhörlich zurecht rückte, saß auf einem Schemel und wärmte sich bald den einen, bald den anderen Fuß über einem Messingbecken, in dem ein Häuflein Kohle glühte. Einen alten Mantel von der Art, die man »Surtout« nannte, hatte er vor sich ausgebreitet, um das schadhaft gewordene Futter zu erneuern. In der Mitte der Werkstätte saß auf zwei Stühlen, die aneinandergerückt waren, ein bärtiger Riese,
    ein Moldauflößer in seinem Sonntagsstaat. Er ließ sich von Signor Brabanzio abkonterfeien und sah dabei recht unglücklich darein, er schien nicht zu wissen, wo er seine mächtigen, schwieligen und behaarten Hände lassen sollte. Im Augenblick hielt er sie weit von sich gestreckt und wie zum Gebet gefaltet. Der Maler hatte ihm eingeschärft, sich nicht zu rühren, und so fürchtete er, daß er mit einer ungeschickten Bewegung seiner Hände irgend etwas in der Werkstatt zerstören oder verderben könnte. Aber just dieser kindlich unbeholfene und ein wenig gequälte Ausdruck des bärtigen Gesichts war es, was der Maler zu sehen und festzuhalten wünschte. Er strich mit dem Rötelstift in der Hand um den vor Angst schwitzenden Flößer herum, betrachtete ihn bald von rechts, bald von links, rückte, indem er ihn am Ohr oder am Bart zupfte, sein Gesicht zurecht, trat zurück, kam wieder näher und fügte dann ein Strichlein dem Konterfei hinzu, das schon so gut wie beendet zu sein schien.
    Rudolf II., der Römische Kaiser, zog die Türe hinter sich zu und lüftete sein Hütchen. Unsicher und befangen, wie er es immer war, wenn er sich fremden Gesichtern gegenüber sah, versuchte er eine Verbeugung von der Art wie sie sein Geheimer Rat, der Hegelmüller, vollführte, wenn er mit Rechnungen oder einem Aktenbündel zu ihm in die Kammer trat. Eine solche Verbeugung also versuchte er, aber es kam nicht mehr dabei heraus als ein leichtes Senken des Kopfes und ein Emporziehen der linken Schulter. Dann entschuldigte er sein Eindringen mit dem Wunsch, sich ein wenig zu erwärmen, denn er leide, sagte er, an einem hartnäckigem Brustübel, und das kalte Wetter und die Nässe draußen seien seinem Befinden sehr abträglich. Und zum Beweise, daß dem wirklich so sei, hustete er ein wenig in die hohle Hand.
    »Setzt Euch, Herr, wenn es Euch beliebt, zu mir ans
    Feuer!« lud ihn der Flickschneider ein. »Bei Euch ist's also die Brust. Bei mir ist's der Magen, der mir zu schaffen macht. Ein Brot mit Schmalz, ein Stückchen Bratwurst, — das geht noch. Aber wenn ich dann einen Schluck Bier dazu trinke, dann kommen alle Leiden der heiligen Märtyrer über mich.«
    »Was brauchst du Bier?« ließ sich der Maler vernehmen. »Wer ein richtiger Schneider ist, der wird von einem Stückchen Käse betrunken.«
    »Kann ich schon aufstehen, Herr?« fragte der Flößer. »Und bei dem dort«, erklärte der Flickschneider und wies mit der Stopfnadel auf seinen Bruder, »fehlt's, wie Ihr seht, im Kopf. Er ist ein Narr. Und so hat jeder von uns sein Kreuz.«
Mit einer Handbewegung lud er seinen Gast nochmals ein, sich zu setzen, und dann erst fiel es ihm auf, daß der Flößer zwei Stühle für sich in Anspruch genommen hatte, und einen dritten gab es nicht in der Werkstatt. Er wurde zornig.
»Steh auf, du Backtrog! Du Ofenröhre!« schrie er ihn an. »Es wollen andere Leute auch sitzen.«
Der mit diesen sonderbaren Scheltworten bedachte Flößer erhob sich schwerfällig, aber sehr zufrieden, daß er nicht länger bewegungslos sitzen mußte, und schob den einen der beiden Stühle dem vermeintlichen Schreiber hin. Der Maler hatte indessen das Konterfei beendet. Er hielt es in der ausgestreckten Hand und sah es prüfend an, und dabei bewegte er den Kopf hin und her und verzog den Mund, als könnte ihn das, was er da zustande gebracht hatte, nicht völlig zufriedenstellen. Dann reichte er es dem bärtigen Riesen, und der nahm es vorsichtig und erwartungsvoll zwischen zwei Finger.
Der Flößer sah ein Gesicht, das ihm bekannt erschien und das sehr wohl das seine sein mochte. Auch das Tüchlein, das er um den Hals gewickelt trug, erkannte er. Aber von seinem neuen Sonntagsrock war auf dem Bilde nichts zu sehen.
Er war enttäuscht. Ein drängender Wunsch und der Verdruß darüber, daß dieser Wunsch ihm nicht erfüllt worden war, rangen in seinem Hirn nach Ausdruck.
»Warum?« fragte er, »warum, Herr, habe ich meinen Sonntagsrock angezogen?«
»Das frage ich mich auch«, sagte

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