Nachts unter der steinernen Bruecke
jenen Worten beschworen stieg das Bild der Traumgeliebten vor seinen Augen auf, er sah sie so klar, so deutlich wie nie zuvor. In völliger Entrücktheit holte er, um sie festzuhalten, den Silberstift aus einer der Taschen seines Rocks hervor und griff nach einem Blatt Papier.
Als er das Bild beendet hatte, wich der Bann von ihm. Mit krausen, kleinen, kaum sichtbaren Buchstaben schrieb er sein »Budolfus fecit« darunter. Er sah es nochmals an, aber je länger er es betrachtete, desto weniger befriedigte es ihn. Er seufzte und schüttelte den Kopf.
Nein, sie war es nicht. Eine andere war es, ihr in manchem ähnlich, aber nicht sie. Ein Judenmädchen mit großen erschrockenen Augen, auf die vielleicht damals, als er durch die Gassen der Judenstadt ritt, sein Blick gefallen war. Aber nicht sie, nicht seine Traumgeliebte.
Vielleicht, sagte er sich, habe ich zu sehr in ihr Antlitz gesehen und zu wenig in ihr Herz, so könnt' ich's nicht zuwege bringen. — Achtlos ließ er das Bild zu Boden fallen. Er stand auf. Ihn fröstelte, und es war ihm, als hätte er sie jetzt erst für immer verloren.
Noch immer sprach der Jude auf den Maler ein, der den Kopf schüttelte und die Achseln zuckte. Der Kaiser warf noch einen Blick auf das Bild mit der Schneepfütze und dem Schlehdornbusch. Dann neigte er den Kopf und zog die Schulter hoch, und mit diesem Gruß ging er zur Türe, und niemand achtete darauf.
Wie er die Türe öffnete und im Fortgehen hinter sich zuzog, fuhr ein Windstoß durch die Werkstatt, der wirbelte das Blatt Papier, das am Boden lag, durch die Luft und ließ es zu des Malers Füßen niederfallen. Der Mordechai Meisl hob es auf, hielt es einen Augenblick lang in der Hand, dann sah er das Bild und stieß einen Schrei aus.
»Das ist sie ja«, rief er. »Warum habt ihr mir nicht gesagt, daß Ihr's schon gemacht habt? Ihr laßt mich reden, sagt kein Wort. Ja, das ist sie, das ist sie. Mein Täubchen! Meine Seele!«
Der Maler nahm das Bild aus den Händen des Meisl. Er betrachtete es, drehte es hin und her, verzog den Mund ein wenig und gab es ihm wieder.
»Meint Ihr wirklich, daß sie es sei?« fragte er ungläubig und verwundert.
»Ja. Ich danke Euch, Herr. Sie ist es. So wie ich sie Euch beschrieben habe«, sagte der Meisl und er verbarg das Bild unter seinem Pelzrock, als hätte er Furcht, der Maler könnt' es ihm wiederum nehmen.
Dann zählte er ihm die acht Goldgulden auf den Tisch. Als der Mordechai Meisl gegangen war, griff der Maler nach den Gulden. Er ließ sie in seinen Händen klirren und klingen und erfreute sich der ungewohnten Musik. Er warf zwei von ihnen in die Höh' und fing sie auf, dann drei, dann vier, dann fünf, und schließlich ließ er mit der Geschicklichkeit eines Jahrmarktgauklers alle acht durch die Luft wirbeln, und der Flickschneider sah ihm mit offenem Munde zu.
Dann, als er dieses Spieles müde war, ließ er die Gulden, einen nach dem anderen, in seinen Taschen verschwinden.
»Ja, Geld ist eine gute Ware«, sagte er vergnügt. »Im Sommer verdirbt es nicht, im Winter gefriert es nicht und manchmal ist es recht wohlfeil zu erlangen. Ich weiß nicht, — ich kann mich nicht entsinnen, daß ich dieses Bild, das der Jude mit sich nahm, gezeichnet hätte. Ich kann es nicht verstehen. Es seih auch nicht so aus, als hätte ich es gemacht.«
»Mir ergeht es oft ähnlich«, bemerkte der Schneider. »Ich begegne einer Hose, die ich geflickt habe, auf der Straße, ich sehe ihr nach, weil das so meine Gewohnheit ist, aber ich erkenne sie nicht wieder. Man kann, weißt du, nicht alles im Kopf behalten.«
»Ja, mein Lieber!« beendete mein Hauslehrer, der stud. med. Jakob Meisl, seine Erzählung. »Um diese acht Gulden, die mein Ururur-Großonkel, der Mordechai Meisl, für das von dem kaiserlichen Dilettanten gezeichnete Bild gezahlt hat, hat es mir immer leid getan, nicht meinetwegen, das kannst du mir glauben, denn von Meisls Gut, von dem ganzen märchenhaften Reichtum, ist nicht ein Kreuzer auf mich gekommen, — du weißt ja, was aus Meisls Gut geworden ist. Aber diese acht Gulden sind schuld daran, daß das kleine Bild, das dem Kaiser so wohlgefiel, nicht in seine Kunstkammer gelangte und daß der Name Brabanzio nicht in die Kunstgeschichte eingegangen ist. Denn mit den acht Gulden in der Tasche litt es den Vojtech Brabenec oder Brabanzio nicht länger in der Schneiderwerkstatt seines Bruders, die Ferne lockte ihn, er ging wieder auf Wanderschaft und alles, was er besaß, nahm er mit sich. Als
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