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Nachts unter der steinernen Bruecke

Nachts unter der steinernen Bruecke

Titel: Nachts unter der steinernen Bruecke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Perutz
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Brouza ließ mit sich reden, denn er wußte nicht, wie wohlversehen mit Geld der Kaiser war.
»So zahl mir ein weniges, Herrlein«, schlug er ihm vor, »drei Gulden zahl mir und das übrige laß anstehen, gib mir ein Pfand dafür.«
Er erhielt die drei Gulden. Als er aber den Parmeggianino als ein Pfand für die restlichen fünf mit sich nehmen wollte, da geriet der Kaiser von neuem in Zorn und fuhr mit dem Stock dazwischen. Und der Brouza, der an den empfangenen Streichen für diesmal völlig genug hatte, gab sich mit den drei Gulden zufrieden und wischte zur Tür hinaus.
    In der Schlafkammer des Grafen Colloredo, der das Amt eines kaiserlichen Mundschenken versah, hatte der Brouza eine seidene Strickleiter gefunden. Der Colloredo hatte sich ihrer dereinst bei seinen verliebten Abenteuern bedient, deren Schauplatz zumeist die Umgebung der Prager Burg gewesen war. Nun war er freilich mit den Jahren ein sehr beleibter und etwas kurzatmiger Herr geworden, dem die Bequemlichkeit über alles ging, und die Tugend der Kleinseitner und Hradschiner Bürgerstöchter hatte von ihm schon lange nichts mehr zu befürchten. Die Strickleiter jedoch befand sich in gutem Zustand. Und in seinem Rückenkorb, in dem er sonst Holzscheite und Kohle die Stiegen hinauf beförderte, brachte sie der Brouza in die Werkstatt des Alchimisten.
    Hier lag sie drei Wochen lang, denn der Zeitpunkt, an dem die Flucht vor sich gehen sollte, mußte mehrere Male hinausgeschoben werden. Zuerst, weil der van Delle von einem mit Fieber verbundenen Halsübel befallen wurde. Dann, weil sich schlechtes Wetter einstellte, zwei Tage und zwei Nächte lang regnete es in Strömen. Eine sich gleich darauf ergebende Konstellation der Gestirne, die dem van Delle nicht günstig genug für ein solches Wagnis zu sein schien, verursachte eine weitere Verzögerung. Schließlich bestimmten sie die Nacht vor dem St. Wenzelstag zur Ausführung ihres Fluchtplans, und ein weiterer Aufschub war nun nicht mehr möglich, so sehr ihn auch der van Delle, der dem Unternehmen mit Sorge und Bangen entgegensah, gewünscht hätte.
    Am Abend vor dem St. Wenzelstag brachte der Brouza dem Alchimisten einen Teller mit Fleischbrühe, ein Stück Hühnerpastete, gesottene Eier, Käse, eine Schnitte Honigkuchen, ein Feigenbrot und eine Kanne Wein.
    »Langt zu und stärkt Euch, Herr!« sagte er. »Laßt es Euch wohl bekommen! Wir wissen nicht, wie es mit Essen und Trinken morgen bestellt sein wird.«
    Dann riet er ihm, vor dem Aufbruch noch eine oder zwei Stunden zu ruhen.
»Ihr werdet alle Eure Kräfte nötig haben«, meinte er. »Morgen, wenn es tagt, müssen wir ein halbes Dutzend Meilen hinter uns gebracht haben.«
Der van Delle aß mit geringem Appetit. Traurig sprach er von den stolzen Erwartungen, mit denen er an den Hof des Kaisers gekommen war.
»Ich habe mich«, klagte er sich an, »bei meiner Arbeit allzusehr auf Hypothesen gestützt, von bloßen Einbildungen habe ich mich bewegen lassen. So ist es nun dazu gekommen, daß ich mit Infamie und Schande bei Nacht und Nebel das Haus verlassen muß.«
»Ob wir Nebel haben werden, das ist noch sehr die Frage«, bemerkte der Brouza. »Ein wenig Nebel, nicht zu viel, das wäre so übel nicht, aber es sieht nicht danach aus, als ob wir ihn bekämen. Aber ich mein', die Sache wird auch ohne Nebel gut ablaufen, zumal wir Neumond haben.«
»In meinem Herzen«, sprach der Alchimist, »halten Furcht und Hoffnung einander das Gleichgewicht. Aber es ist nun einmal so und auch der Dichter Petrarca hat es gesagt, daß im menschlichen Leben weit öfter die Furcht als die Hoffnung sich verwirklicht. Was bleibt also anderes übrig, als der Bitternis des Schicksals mit fester Stirn entgegenzutreten? «
Schweren Herzens hatte er sich entschlossen, seine Bücher zurückzulassen. Nun ging er zu dem hochgetürmten Stoß, suchte ein Bändchen hervor und schob es in die Tasche seines feuerfarbenen Bocks. Es war Senecas Tractat »De tranquillitate vitae«, zu deutsch »Von der Geruhsamkeit des Lebens«, den wollte er auf seinen beschwerlichen Weg mit sich nehmen.
»Eine Sache wie diese«, sagte indessen der Brouza, »kann nicht ohne Mühe und Gefahr ausgeführt werden. Ihr habt jedoch den Vorteil, daß ich mein Leben lang noch keinem Menschen bei seiner Flucht behilflich gewesen bin.«
»Und worin liegt da für mich der Vorteil?« fragte der Alchimist.
»Weil«, bedeutete ihm der Brouza, und er fiel für einen Augenblick in sein altes Narrentum zurück, »wie man

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