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Nachts unter der steinernen Bruecke

Nachts unter der steinernen Bruecke

Titel: Nachts unter der steinernen Bruecke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Perutz
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ihm Brot und Käse und dazu sagte er, wie alle Tage, sein Sprüchlein:
    »Eßt, Herr! Ihr werdet Brot und Käse nach Eurem Wunsch finden. Das Brot leicht, den Käse schwer.«
Er erneuerte die Kompresse, und dann bat er den van Delle um Urlaub. Er wollte in die Burg zurück und sehen, wie sich die Dinge dort anließen.
»Es wird einen höllischen Lärm geben, wenn sie merken, daß Ihr das Weite gesucht habt«, prophezeite er. »Die, die es dem Kaiser hinterbringen, werden Beulen und blutige Schrammen davontragen und vielleicht noch Schlimmeres. Er wird in Raserei geraten und ihnen an den Kopf werfen, was er zur Hand hat, Leuchter, Schüsseln, Teller, allerlei Gerät, Messer, Dosen, Figuren aus Holz, Stein oder schwerem Metall, deren stehen immer etliche in des Kaisers Kammer, daß er sie den Leuten an den Kopf werfen kann, und vielleicht wird er sogar mit dem Degen auf sie losgehen. Mir hat er einmal ein Buch mit Bildern von den Leiden Christi nachgeworfen. Später hat er es bereut und bittere Tränen darum vergossen, aber nicht um meinetwillen, sondern des beleidigten Erlösers wegen.«
»Und wie wird es weitergehen?« erkundigte sich voll Sorge der van Delle. »Mit den Leuchtern und Schüsseln wird es wohl nicht abgetan sein.«
»Gewiß nicht«, sagte der Brouza. »Der Kaiser wird den Herrn Obersthofmarschall und den Herrn Oberstburggrafen zu sich befehlen und über sie herfallen, wird toben und schreien, sie hätten Euch zur Flucht verholfen, seien von Matthias dafür bezahlt. Der Herr Obersthofmarschall wird einen roten Kopf bekommen, aber der Herr Oberstburggraf wird den Kaiser beschwichtigen. Er wird Ihm versprechen, Euch zu greifen und zurückzubringen, und er wird Euch auf allen Landstraßen und in allen Herbergen suchen lassen, aber nur eine oder zwei Wochen lang, denn dann wird die Sache dem Kaiser aus dem Sinn gekommen sein, weil sich in seinem Kopf die menschlichen Dinge: Zorn, Verdruß, Reue, wie auch Hoffnung oder Vertrauen oft sehr rasch in ihr Gegenspiel verkehren.«
»Und hier wi^d man mich nicht suchen?« fragte der van Delle.
»Hier nicht, nein. Hier seid Ihr sicher«, beruhigte ihn der Brouza. »Vielleicht hat sich just darin, daß Ihr so übel von der Leiter gesprungen seid und nicht weiter konntet Gottes liebende Vorsorge für Euch offenbart. Ich gehe jetzt, werd' die Türe hinter mir verschließen. Am Abend bin ich zurück. Laßt Euch inzwischen die Zeit nicht lang werden.«
»Ich werde sie verwenden, um über die vielen Wechselfälle meines Lebens nachzusinnen«, sagte der Alchimist. »Auch werde ich in diesem Buch lesen, daß mir ein Trost in meiner Kümmernis sein wird.«
Und er zog den Seneca aus seiner Tasche.
Aber er fand, als der Brouza gegangen war, die Ruhe nicht, um irgendeinem Gedanken nachzuhängen. Die Abenteuer und Wechselfälle seines Lebens, aus deren Ablauf und Ausgang er in seiner gegenwärtigen Bedrängnis Zuversicht gewinnen wollte, stoben durcheinander und zerflossen in nichts. Er versuchte, im Seneca zu lesen, aber die Worte ergaben ihm keinen Sinn, er las und wußte nicht, was er gelesen hatte. Er war müde und konnte nicht schlafen. Die Zeit wollt' ihm nicht vergehen, und er suchte nach einem Mittel, sie zu überlisten. Er bewegte den Fuß, der Schmerz fiel über ihn her und wurde unerträglich, dann ließ er nach, wurde milder, blieb noch eine Weile und verschwand. Dawar ein wenig Zeit vergangen. Er wiederholte das Spiel, aber da fand er, daß er den Gewinn an Zeit mit allzuviel Schmerz bezahlt hatte. Sein Auge haftete an den Schnecken an der Bretterwand der Hütte und es schien ihm, als wären das die Stunden dieses Tages, die so träge dahinschlichen.
Gegen Mittag schlief er ein. Es war ein kurzer und unruhiger Schlaf, und doch fühlte er sich besser, als er erwachte, er meinte viele Stunden geschlafen zu haben. Er brachte es nun zuwege, ein wenig in seinem Seneca zu lesen. Bald aber legte er das Buch aus der Hand. Er sagte sich, der Tag sei nun zu Ende, gleich käme die Dämmerung, und bei schwindendem Licht sei nicht gut lesen. Es war aber noch früh am Nachmittag.
Dennoch verging ihm der Rest des Tages ein wenig rascher, denn jetzt begannen die Kapuziner in ihrem nahegelegenen Kloster mit ihrem Läuten, Klingeln und Chorsingen. Der Brouza, der gegen neun Uhr abends kam, fand ihn ruhiger, als er erwartet hatte. Der van Delle versuchte sich aufzurichten und wollt' gleich alles wissen, aber der Brouza legte den Finger an die Lippen.
»Leise, Herr, leise!« sagte er.

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