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Nachts unter der steinernen Bruecke

Nachts unter der steinernen Bruecke

Titel: Nachts unter der steinernen Bruecke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Perutz
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sagt, ein Pfaffe niemals so gut ist wie bei seiner ersten Messe. Habt also guten Mut. Ihr werdet sehen, daß auch hier wie beim Rosenkranz am Ende das Gloria kommt.«
Als die Uhr eins schlug, befestigte der Brouza die Strickleiter an zwei eisernen Haken, die er in den Fenstersims des Erkers eingetrieben und durch hölzerne Keile gesichert hatte. Dann zeigte er dem van Delle, der vor Angst an allen Gliedern bebte, wie er es anzustellen habe. Er schwang sich auf den Sims und stieg die Leiter hinab, bis sein plattnasiges Gesicht nicht mehr zu sehen war. Dann kam er wieder, ließ sich das Bündel mit den Habseligkeiten des Alchimisten und seinen eigenen Ranzen reichen und sagte:
»Es ist nicht schwer, und es ist auch keine Gefahr dabei. Merkt Euch nur, daß Ihr hinaufschauen sollt und nicht hinunter. Macht einen Schritt um den anderen, eilt Euch nicht. Wenn Ihr Schritte, Stimmen oder sonst ein Geräusch hört, dann bleibt stehen und rührt Euch nicht. Wenn ich unten bin, werdet Ihr mich pfeifen hören.«
Und damit verschwand er.
Als der van Delle auf der Strickleiter stand, hub einer von des Kaisers Löwen, die unten im Hirschgraben in Käfigen gehalten wurden, zu brüllen an, und ein wenig später durchschnitt der melancholische Schrei des Adlers, der mit einem seiner Fänge an eine eiserne Stange gekettet war, die Stille der Nacht. Diese Laute, so wild sie auch klangen, erschreckten den van Delle nicht. Die Stimme des Löwen wie auch die des Adlers war ihm vertraut. Als aber eine Fledermaus hart an seinem Kopf vorbeischwirrte, konnte er einen Aufschrei nicht völlig unterdrücken.
Wie er dann die Leiter Tritt um Tritt hinunterstieg, minderte sich seine Furcht. Er sah, daß es nicht schwer war, hinunter zu gelangen, auch gab es keine Gefahr. Stärker wurde das Rauschen der Bäume unter ihm, Vögel schwirrten aus dem Schlaf geschreckt auf und flogen davon. Zu seinen Häupten standen die ihm vertrauten Gestirne: der Fuhrmann, der Wagen, der Rabe, der Kopf des Stieres, die Krone der Ariadne und der Gürtel des Orion.
Als er schon beinhahe unten war, wurde er so verwegen, daß er die Leiter vorzeitig losließ und absprang. Er tat dies aus geringer Höhe, aber so wenig geschickt, daß er taumelte und zu Boden fiel.
Er hörte die Stimme des Brouza, der sich über ihn beugte:
»Steht auf Herr, steht auf! Es ist alles gut abgelaufen. Jetzt aber keine Zeit verloren!«
Vom Brouza unterstützt versuchte er aufzustehen, aber es ging nicht. Mit einem Wehlaut sank er wieder zu Boden. Er hatte sich das Bein beschädigt.
An eine Flucht war nun nicht mehr zu denken, aber der Brouza verlor darum den Kopf nicht. Er trug, schleppte und zog den van Delle in eine Hütte, die sich in einem abgelegenen Teil des Hirschgrabens windschief an die Umfassungsmauer lehnte wie ein Betrunkener an einen Türpfosten. Hier bettete er den van Delle, der zu stöhnen nicht aufhörte, auf einen Federsack. Er schlug Feuer und zündete eine Öllampe an. Dann zog er dem van Delle behutsam die Schuhe aus und brachte ihm ein paar türkische Pantoffei, die zwar abgetragen, aber aus dem allerfeinsten Gazellenleder verfertigt waren.
»Wo bin ich hier?« fragte der Alchimist.
»In meinem Hause«, erklärte ihm der Brouza, »und es steht hier alles zu Eurem Gebrauch und Willen. Hier sucht Euch keiner, hier seid Ihr sicher. Mögen sie nun die Landstraßen nach Euch ablaufen. Dieses Haus hat mir der verewigte Kaiser geschenkt, auch die beiden Apfelbäume draußen und das Gärtlein, in dem ich Gemüse ziehe.«
Er wischte sich die Tränen aus den Augen.
»Du siehst nun wohl«, klagte mit matter Stimme der Alchimist, »von welchen Nöten und Beschwerden dieses arme Leben bedroht ist und wie mir das Glück wiederum seine Untreue und Tücke bewiesen hat.«
»Ihr habt Euch«, meinte Brouza, »allzusehr auf Gottes Beistand verlassen, als Ihr von der Leiter sprangt. Es hätte noch schlimmer kommen können.«
Der Alchimist wies auf eine Peitsche mit kurzem Stiel und langen Lederschnüren, die an einem Nagel an der Wand hing.
»Wozu dient sie dir?« fragte er. »Hältst du dir einen Hund?«
»Nein«, sagte der Brouza. »Mit diesem Ding da hat der verewigte Kaiser bisweilen nach mir geschlagen, wenn ich ihm Verdruß bereitet habe. Man nennt das ein Reliquium. Ich habe noch andere Reliquia aus seiner Hand. Die beiden Truhen dort hat er mir verehrt, das kupferne Waschbecken, Strümpfe, Hemden, Halstücher, ein Gebetbüchlein, einen Ring mit blauem Stein, einen Schröpfkopf und vieles

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