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Nachts unter der steinernen Bruecke

Nachts unter der steinernen Bruecke

Titel: Nachts unter der steinernen Bruecke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Perutz
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andere. Auch die Pantoffel sind von ihm. Denkt daran, Herr, daß Ihr heilige Reliquia an den Füßen tragt. Wehe, nie wieder wird die Welt einen Herrn wie den meinen sehen!«
Er sah aus, als wolle er in Erinnerung an den verstürbenen Kaiser von neuem in Tränen ausbrechen. Aber die Zeit drängte. Er sagte, er müsse nun fort, um die Strickleiter verschwinden zu lassen und um irgendwo außerhalb der Stadt einen Wundarzt oder Feldscher aufzutreiben, einen, von dem sich erwarten ließe, daß er nicht allzuviel Neugierde bezeigen werde. Er holte aus seiner Tasche einen Schlüssel hervor, mit dessen Hilfe er durch eines der Mauerpförtchen ins Freie gelangen konnte. Er empfahl dem van Delle, keine Furcht zu hegen, in Geduld zu warten und den Fuß nicht zu bewegen.
Eine Stunde später kam er mit einem Dorfbader zurück, der auch ein wenig Feldscher war und sich rühmte, zweiundsechzig Arten von Knochenbrüchen und auch Brandwunden richtig behandeln zu können. Er hatte ihn im Wirtshaus des Dörfchens Liben aufgelesen, das zu weit entfernt war, als daß von dort Gerede und Gerüchte in die Prager Burg gelangen konnten.
Der Feldscher, der leicht angetrunken war, betastete den Fuß, den Knöchel und das Bein. Dann sagte er, es sei nicht schlimm, er werden dem Herrn aber Schmerzen zufügen müssen.
»Man muß«, sagte der Alchimist, »durch das Meer der Schmerzen hindurchgehen wie der Salamander durch das Feuer.«
Unmittelbar darauf aber stieß er einen gellenden Schrei aus, so daß ihm der Brouza die Hand auf den Mund legte. Der Feldscher hatte ihm, ehe er sich dessen versah, durch heftiges Ziehen am Fuß den Knöchel eingerenkt. Es war nun nicht mehr viel zu tun. Der Feldscher verlangte zwei Brettchen oder Stäbe, um das Bein zu schienen. Mit dem geschienten Bein, sagte er, müsse der Herr nun zwölf oder vierzehn Tage lang liegen und erst nach Ablauf dieser Zeit könnte er es mit dem Gehen versuchen. Er verordnete kalte Kompressen, und dann fragte er den van Delle, wie ihm dieses Mißgeschick zugestoßen sei.
Der Alchimist setzte ihm auseinander, daß sein Mißgeschick nicht von ihm selbst verschuldet, sondern daß es auf eine besondere Quadratur der obersten Planeten zurückzuführen sei.
»Herr!« rief der Feldscher, »ihr wollt mir doch nicht weismachen, daß sich diese Planeten oben zusammengetan haben, um Euch das Fußgelenk auszukegeln?«
»Sie fügen uns Gutes und Schlimmes zu«, belehrte ihn der Alchimist, »und wir sind ihren Zusammenstellungen mehr, als Ihr erfassen könnt, unterworfen. Aber wenn es Euch recht ist«, fügte er hinzu, »will ich diesen Gegenstand nicht mehr mit Euch erörtern.«
Dem Feischer war das recht. Die Erfahrung hatte ihn gelehrt, daß es besser sei, Leute, die im Fieber lagen oder von Schmerzen geplagt wurden, nicht durch Widerspruch zu reizen, auch wenn er ihre Meinung für verkehrt hielt. Indessen hatte der Brouza aus einer seiner Truhen oder heiligen Reliquien ein Zinngefäß mit Wacholderbranntwein hervorgeholt, das gab er dem Feldscher für seine Mühe und für den weiten Weg. Der Feldscher kostete von dem Branntwein. Sein Gesicht verklärte sich, um gleich darauf den Ausdruck tiefer Besorgnis anzunehmen.
»Schönen Dank«, sagte er. »Ich steh' Euch zu Diensten, wann immer Ihr mich braucht. Auch wenn es sich um Brandwunden handelt, vergeßt das nicht! Aber wie mach' ich's nur, daß mir der listige Teufel nicht diesen Branntwein stiehlt?«
»Stiehlt Euch der Teufel Branntwein?« fragte der van Delle.
»Ja, und auch Wein, Most, Bier, kurzum, jegliches Getränk«, erklärte der Feldscher.
»Stellt er Euch auch sonst nach?« erkundigte sich der van Delle.
»Das will ich meinen«, gab der Feldscher zur Anwort. »Tag und Nacht.«
»Er hat es also auf Eure Seele abgesehen?« wollte der van Delle wissen.
»Nein«, sagte der Feldscher. »Er ist nicht von der Art. Es hat jedermann seinen eigenen Teufel, und der meine liegt bei mir im Ehebett.«
Er nahm noch einen Schluck Branntwein aus der Kanne, und dann ließ er sich vom Brouza durch das Mauerpförtlein auf die Landstraße führen.
    Als es Morgen wurde, erhob sich der Brouza von der Erde und rieb sich den Schlaf aus den Augen. Der van Delle lag wach. Der Schmerz im Bein, die ungewohnte Umgebung, vor allem aber die Furcht vor dem Tag, der jetzt anbrach, hatten ihn keine Ruhe finden lassen. Der Brouza schleppte das kupferne Waschbecken, auch eine Reliquie, herbei, holte Wasser und wusch seinem Herrn Gesicht, Hals und Hände. Dann brachte er

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