Nachts, wenn der Feuerteufel kommt
von Nr. 71 saß
eine graue Katze. Sie leckte sich den Brustlatz, hielt inne, beobachtete die
näherkommenden Jungs, schlug dann mit der Pfote nach einem Schmetterling — ohne
ihn zu treffen — und verschwand im Gebüsch.
Tarzan las das Namensschild
neben der Pforte. KONRAD HECKER, VERSICHERUNGEN stand dort, in Messing geprägt.
Er klingelte.
Die Tür wurde geöffnet. Verblüffung
breitete sich über Norbert Heckers Fuchsgesicht.
„Ihr?“
Er trug eine schmuddelige
Schürze über Hemd und Shorts. In der Hand hielt er ein Küchentuch.
Als ihm bewußt wurde, wie er
aussah, schoß ihm Röte in die pickelige Haut.
„Du hilfst in der Küche?“
meinte Tarzan. „Finde ich stark. Zu Hause in den Ferien mache ich das jeden
Tag.“
„Ja?“ Der Junge schien
erleichtert. „Ist ja auch gar nichts dabei.“
„Im Gegenteil. Man hilft seiner
Mutter — und das sollten alle tun.“
„Ich helfe meinem Vater“, sagte
Norbert. Dabei machte er ein Gesicht, als wünsche er die Küchenarbeit zum
Teufel. „Weil wir allein sind: er und ich.“
„Ist deine Mutter verreist?“
fragte Tarzan.
„Mein Vater ist geschieden.
Meine Mutter ist mit einem anderen Mann weggegangen, als ich neun war.“
Tarzan zögerte, weil er nicht
wußte, was er dazu sagen sollte. Immerhin war das eine menschliche Tragödie, zu
der platte Bemerkungen nicht passen.
Aber Karl hatte da weniger
Hemmungen.
„Das muß ja schrecklich für
dich sein“, meinte er. „Wieso?“ schnappte Norbert. „Bin froh, daß sie weg ist,
die Schlampe. Außer Ohrfeigen hatte sie nichts für mich übrig. Einmal hat sie
einen Kochlöffel auf mir zerdroschen.“
„Tja“, sagte Klößchen, „leider
kann man sich seine Eltern nicht aussuchen. Aber ich bin mit meinen zufrieden.“
Nachdem das geklärt war, nahm Tarzan das Wort.
„Ist dein Vater da?“
„Er wäscht ab. Wir haben noch
keine Geschirrspülmaschine. Aber sie ist schon bestellt, kommt nächste Woche.
Dann...“, er zerrte an der Schürze, „geht das verdammte Spülen viel schneller.“
„Wir würden ihn gern sprechen“,
sagte Tarzan.
Norbert nickte. In seinem Blick
war die Neugier angeknipst. Aber er hielt sich zurück.
Statt die drei hereinzubitten,
was höflich gewesen wäre, sagte er: „Moment! Ich sag’s ihm.“ Dann schloß er die
Tür.
Klößchen stieß Tarzan an.
„Hilfst du wirklich in der Küche?“
„Klar. Warum auch nicht?
Könntest du auch tun. Da fällt dir kein Zacken aus der Krone.“
„Bei Willi wäre es riskant, ihn
in die Küche zu lassen“, lachte Karl. „Seine Hilfe bestünde darin, daß er den
Eisschrank leer futtert.“
Norbert kam zurück. Er hatte
die Schürze abgelegt. Die drei wurden in einen Wohnraum geführt, der mit Möbeln
vollgestopft und ziemlich unordentlich war. Über der Couch hing ein großes
Gemälde. Es zeigte einen röhrenden Hirsch im Abendrot.
Herr Hecker kam herein.
„Ah, ihr seid Norberts
Klassenkameraden.“
Seine Stimme klang begeistert,
obschon Tarzan keinen Grund dafür sah. Aber vielleicht gehörte es zum Wesen
eines Versicherungsvertreters, gute Laune zu verbreiten — sogar bei
Begräbnissen.
Wie die beiden sich ähneln!
dachte Tarzan, während er höflich grüßte, sich und seine Freunde vorstellte und
gleichzeitig für die Störung entschuldigte.
„Macht ja gar nichts!“ lachte
Konrad Hecker. „Stehe immer zu Diensten. Bin jederzeit ansprechbar.“
Er war mittelgroß und
schwammig. Seine weißliche Haut wirkte, als wäre sie mit Butter eingerieben.
Das Fuchsgesicht, das nicht viel Vertrauen einflößte, hatte er seinem Sohn
vererbt. Er trug Cordhose, Filzlatschen und ein blaues Hemd mit Fettspritzern.
In der Hand hielt er eine
Tabakpfeife, deren Mundstück so beknabbert war, als hätte es eine Kuh beim
Wiederkäuen zwischen den Zähnen gehabt.
„Euch verdanke ich also“, sagte
er mit ansteckender Fröhlichkeit, „daß Fanhausers Rechnung nicht aufging. Auch
der war bei mir versichert. Jetzt sieht er natürlich keine müde Mark —
höchstens das Gefängnis von innen. Vielen Dank jedenfalls für eure Mitarbeit.“
„Das war Zufall“, sagte Tarzan.
„Aber wenn Sie uns behilflich sind, gehen wir gezielt vor.“
„Wobei?“
„Bei der Jagd nach dem
Feuerteufel.“
Hecker riß ein Zündholz an und
setzte seine Pfeife in Brand. Der Tabak roch wie eine Mischung aus
Pflaumenkompott und Honig.
„Da habt ihr euch was
vorgenommen.“ Sein Fuchsgesicht zeigte einen wachsamen Ausdruck, als höre
Reineke den Jäger
Weitere Kostenlose Bücher