Nachts wenn der Teufel kam
schließlich einen Blick für die Menschen.«
Nach zwanzig Minuten ist Bruno Lüdke entlassen. Die Polizeibeamten verschaffen ihm sogar eine Gelegenheit, auf einem anderen Fernlaster in Richtung Berlin weiterfahren zu können. Er bedankt sich tollpatschig und nimmt im Führerhaus an der rechten Tür Platz.
Nach zehn Minuten ist er bereits eingedöst. Er kennt ja diese langen Nächte auf den endlosen Autobahnen, vorher und nachher.
Das Morden geht weiter. Fast vor der Tür des Reichskriminalpolizeiamts. Wieder alles Fälle auf örtlicher Basis. Aber mehr und mehr ist diese ›örtliche Basis‹ die Reichshauptstadt Berlin.
Immer unangenehmer werden die Tagesmeldungen bei der Abteilung E römisch eins, arabisch eins und zwei. Immer häufiger muß sich die Mordkommission auf den Weg machen.
Am 30. Mai 1938 zum Beispiel, um 21 Uhr, wurde die Witwe Wilhelmine Borch, geboren am 9. Juni 1857 in Briesen, wohnhaft in Berlin-Neukölln, Schudonerstraße 3/IV, in ihrem Bett tot aufgefunden, Kratzwunden am Hals und im Gesicht. Mit einer Gardinenschnur erwürgt. Geknebelt mit ihrer eigenen Nachtjacke. Schränke und Truhen durchwühlt. Vom Mörder keine Spur …
Der Krieg bricht aus, und das gibt dem Polizeistaat den Vorwand, das Strafmaß noch einmal ganz erheblich zu verschärfen, um – wie es im Sprachschatz der Zeit heißt – Volksschädlinge auszumerzen. Todesstrafe für Bagatelldelikte: Wer eine Zigarette aus einem Feldpostpäckchen stiehlt, wer ein Schwein mit zwei Schwänzen schlachtet oder als Einsteigdieb die Verdunkelung nutzt, spielt mit seinem Leben.
Aber ein Triebtäter zieht als ungreifbares Phantom weiter durch die deutschen Provinzen und markiert seine Spuren mit Blut. Im Norden, im Süden, im Osten.
Alarm in Erfurt. Fünfzig Meter südlich des Kurhauses, am Ostufer der nach Süden fließenden Gera, findet man am 15. Februar 1940 die 21jährige Ingeborg Barthel tot auf. Sie hatte ihre Freundin noch spät am Abend besucht und war auf dem Nachhauseweg von einem Unbekannten niedergeschlagen, getötet, missbraucht und in die Gera geworfen worden. Der Täter entkam mit der Handtasche seines Opfers. Die Tasche wurde ein paar Tage später in der Nähe des Tatorts gefunden. Leer natürlich.
Zählt man alle Fälle zusammen, so sind auf den Kopf des Mörders bisher 32.000 Mark ausgesetzt. 32.000 Mark für 32 Morde.
Noch sind Dutzende von angeblichen Mördern in Haft. In München zum Beispiel vier falsche Brunos. Man geht nicht zimperlich mit Verdächtigen um. Der ›Reichsführer SS und Chef der deutschen Polizei‹ hat angeordnet, daß die Verbrechen im Ordnungsstaat Großdeutschland aufzuhören haben. Also weisen die Kriminalstatistiken fast nur Erfolgsmeldungen auf. 98 Prozent aller Kapitalverbrechen geklärt. Nur zwei Prozent stehen noch aus. Diese zwei Prozent aber sind Morde. Morde an Frauen. Verübt in ganz Deutschland, wenn auch vorwiegend im Raum von Groß-Berlin.
Die ›graue Eminenz‹ des Reichskriminalpolizeiamts, Geheimrat Gennert, grübelt über diesen Fällen. Wenn etwas faul ist im Staate Dänemark oder im Staate Griechenland oder in Italien oder in Spanien, setzt man ihn in ein Sonderflugzeug, und er ermittelt, klärt, löst die Fäden. Er gilt als der beste Kriminalist der Welt, als ein Mordspezialist ohnegleichen. Mehr als hundert Täter hat er zur Strecke gebracht. Sein Ruf als Fachmann ist so groß, daß ihn selbst die Nationalsozialisten, deren Freund er nicht gerade ist, nicht entbehren konnten.
Ein junger Kriminalkommissar meldet sich bei ihm. Er hat in drei Wochen langer Arbeit eine Zusammenstellung besonderer Art angefertigt. Er hat sich mit den ungeklärten Frauenmorden beschäftigt.
»Sind Sie weitergekommen?«
»Ich denke ja, Herr Geheimrat.«
»Na, dann nehmen Sie Platz und schießen Sie los.«
Der Geheimrat lehnt sich in seinen Sessel zurück. Er ist ein gepflegter älterer Herr mit einem intelligenten Gesicht. Ein Mann, der über der Sache steht.
»Ich habe die Akten miteinander verglichen«, beginnt der Kommissar, »ich glaube, das ist bisher versäumt worden.«
»Na, na, na.«
»Ich bin weit zurückgegangen, Herr Geheimrat. Bis zum Jahre 1924.«
»Sie Ärmster«, entgegnet Gennert jovial.
»Am 11. Februar 1924 wurde Berta Liebau ermordet. In ihrer Wohnung in Berlin. Zwei weitere Opfer folgten im selben Jahr. Und von da an geht es Schlag auf Schlag. Im ganzen Reichsgebiet.«
»Das wissen wir schon lange.«
»Aber die Frauen wurden alle nach einem bestimmten System
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