Nachts wenn der Teufel kam
ermordet, Herr Geheimrat. Sie wurden erwürgt oder erschlagen. Sie wurden ausnahmslos missbraucht, und sie wurden beraubt.«
»Sie sagen erwürgt oder erschlagen … Da stimmt schon etwas nicht, junger Mann. Ein Lustmörder bleibt immer beim gleichen System. Es gibt kein Entweder-Oder. Die Massenmörder der Kriminalgeschichte handeln immer nach der gleichen Methode. Deshalb konnte man sie schließlich auch zu Fall bringen.«
»Ich habe mir die Sektionsprotokolle genau angesehen, Herr Geheimrat. Eine Verletzung war in allen Fällen gleich: Immer wurde das Zungenbein durchstoßen. Eine Verletzung dieser Art ist in jedem Fall tödlich.«
»Das kann Zufall sein. Aber haben Sie schon einmal einen Lustmörder gesehen, der auch raubt?« Der Geheimrat lächelt. »Das ist mindestens so unwahrscheinlich wie ein Räuber, der lustmordet. Ich kenne jedenfalls keinen. Und ich kenne so ziemlich alles in dieser Branche.«
»Noch etwas spricht für meine Theorie, Herr Geheimrat; in siebzig von hundert Fällen ist die Beschreibung des Täters im wesentlichen gleich: klein bis mittelgroß, untersetzt, kräftig, seltsam humpelnder Gang, derbe Hände, primitiv-gutmütiges Gesicht.«
»Na, hören Sie mal, derbe Hände hat wohl jeder Gewaltverbrecher.«
Der Kriminalkommissar redet sich in Rage: »Fast immer trug er eine Schirmmütze und einen dunkelblauen Anzug.«
»Mode, junger Freund.«
»In fast allen Fällen wurde er als hektischer Raucher beschrieben.«
»Wer ist das nicht?«
»Wollen Sie sich die Akten nicht einmal ansehen, Herr Geheimrat?«
»Beruhigen Sie sich. Ich habe sie schon hundertmal in der Hand gehabt, und ich kann Ihnen genauso viele Widersprüche nachweisen, wie Sie mir eben übereinstimmende Fakten vortragen. Ich will Ihren Eifer nicht dämpfen. Machen Sie ruhig weiter mit Ihren Vergleichsstudien. Aber verrennen Sie sich nicht in eine fixe Idee. Wie erklären Sie sich, daß der Mörder einmal in München, einmal in Breslau, einmal in Hamburg, einmal in einem unbekannten Dorf und einmal in Erlangen, wenn ich mich nicht irre, aufgetreten ist? Und das fast gleichzeitig!«
»Dafür kann es eine natürliche Erklärung geben.«
»Haben Sie die?«
»Noch nicht, Herr Geheimrat.«
»Na, dann denken Sie einmal nach. Bleiben Sie weiter an der Sache. Ich habe absolut nichts dagegen. Ihr Eifer ehrt Sie und freut mich. Aber glauben Sie mir etwas: So bequem ist die Kriminalistik nicht. Einer mordet nicht alle. Die Lösung wäre, von unserem Standpunkt aus gesehen, zu schön. Das heißt, wenn wir den Mann hätten. Aber suchen wir lieber dreißig statt einen. Das ist zwar umständlicher, aber führt sicherer zum Ziel. Haben Sie sonst noch etwas auf dem Herzen?«
»Nein, Herr Geheimrat.«
»Gut. Bis auf weiteres bearbeiten Sie nur diesen Fall. Wenn Sie recht haben, lasse ich mich pensionieren. Sie können mich beim Wort nehmen.«
Der junge Beamte verabschiedet sich. Zwei Jahre läßt man ihm noch Zeit, dann wird er in eine andere Abteilung versetzt, weil seine Studien keinen Erfolg hatten.
In der Hauptstraße von Köpenick schlägt ein Kutscher im blinden Zorn auf seine Pferde ein. Die Tiere bäumen sich auf, wiehern, schlagen um sich. Eine Frau am Gehsteig wird getroffen und bricht blutüberströmt zusammen. Der rohe Kutscher aber springt vom Bock und drischt mit dem umgedrehten Peitschenstiel weiter auf die Köpfe seiner Tiere ein, ohne sich um die Verletzte zu kümmern.
Die Menschen strömen zusammen. Sie schimpfen über den rabiaten Fuhrknecht, treffen Anstalten, ihn zu verprügeln. Eine motorisierte Polizeistreife bemerkt den Zwischenfall und wendet.
»Sie sind wohl verrückt geworden«, fährt einer der uniformierten Polizeibeamten den Kutscher an.
»Ick kann mit meinen Pferden machen, wat ick will. Det jeht Ihnen jar nischt an«, sagt der Trottel von Köpenick.
»Sie kommen mit«, sagt der Beamte. Dann kümmert er sich um die verletzte Frau.
»Natürlich, der doofe Bruno«, bemerkt man im Polizeiamt. Allmählich wird es den Beamten zuviel. Drei Holzdiebstähle in letzter Zeit und jetzt eine Tierquälerei mitten in der Stadt. Diesmal fassen sie den Vorstadtdeppen hart an.
»Lasst mich in Ruhe«, sagt Bruno. »Ick hab' den Paragraphen eenundfuffzig, det wisst ihr janz jenau.«
»Diesmal helfen wir dir auf die Beine, Bruno, verlass dich darauf.«
Bruno Lüdke wird dem Ermittlungsrichter vorgeführt. Haftbefehl wegen Tierquälerei. Der Ermittlungsrichter meldet den Zwischenfall an den höheren SS-Führer
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