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Nachts wenn der Teufel kam

Nachts wenn der Teufel kam

Titel: Nachts wenn der Teufel kam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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dreht sich um, sieht ihn, beschleunigt ihren Schritt. Er tut dasselbe. Mitten am Tag, mitten in der belebten Innenstadt, mitten unter Hunderten von Passanten, die sich nicht um ihn kümmern. An Polizisten vorbei, quer über die Straße.
    Die Frau steigt in die Straßenbahn. Er folgt ihr. Sie sieht diese kalten, starren Augen, und sie fürchtet sich vor ihnen. Instinktiv ahnt sie die Gefahr, die von dem untersetzten Mann ausgeht. Ich bin ja hysterisch, sagt sie sich im gleichen Augenblick und versucht, sich selbst auszulachen. Am liebsten würde sie den nächsten Schutzmann anhalten, aber sie fürchtet, sich lächerlich zu machen, und unterläßt es.
    Sie hat Angst. Sie ist blass. Und wenige Meter neben ihr steht der Mann und starrt sie an. Immerfort. Ohne eine Miene zu verziehen. Ohne ein Wort zu sagen.
    Am Harras springt sie von der fahrenden Straßenbahn ab. Der Mann folgt ihr. Es ist jetzt 16.30. Es ist noch hell. Die Hauptstraße entlang, wenige Meter nur, dann rechts. Die Frau geht jetzt so schnell, daß sie schwer atmen muß. Jetzt bemerken es die Leute. Sie sehen ihr verwundert nach. Aber sie achten nicht auf den Mann, der wenige Meter hinter ihr herläuft.
    Die Frau geht in ein Haus. Ihre zitternden Hände finden nicht gleich die Schlüssel. Endlich schafft sie es. Der Fremde aber bleibt in der Tür stehen, zündet sich eine Zigarette an, noch eine und dann noch eine.
    Er betrachtet die Straße. Er prägt sich die Hausnummer ein. Am liebsten würde er warten. Aber es ist bitterkalt, und er friert.
    Langsam geht er zum Harras zurück. Er ist entschlossen, wiederzukommen und der Frau aufzulauern. Er denkt nicht daran, daß sie sich vielleicht mit der Polizei in Verbindung gesetzt haben könnte, daß sie vielleicht einen Mann hat, der sie schützt, daß sie vielleicht ihren Nachbarn von dem Erlebnis mitten in der Stadt, mitten am hellen Tag berichten wird.
    Der Unheimliche geht zu Fuß ins Stadtzentrum zurück. Zum Sendlinger-Tor-Platz. Es ist jetzt finster. Er hat Hunger. Sein Geld reicht gerade noch zum Abendessen und zu ein paar Schnäpsen. Zigaretten hat er noch. Mit dem ihm eigenen Instinkt findet er in einer Seitenstraße ein billiges Lokal. Er isst und wärmt sich auf. Dann sieht er auf die Uhr. Er will zurück zum Harras, zurück zu der unbekannten Frau. Er will ihr auflauern. Wie all den anderen. Und er wird dasselbe mit ihr tun, wie mit seinen bisherigen Opfern.
    Aber diesmal will das Schicksal es anders. Die unbekannte Frau vom Harras entgeht einem furchtbaren Tod, um Haaresbreite – und sie ahnt es nicht einmal. Sie dankt die Rettung ihres Lebens nicht der Wachsamkeit der Polizei, sie dankt sie dem Zufall. Eine andere Frau wird an ihrer Stelle sterben – und dieser Tod wird furchtbar sein.
    Heute hält es Rosa Groß nicht zwischen ihren vier Wänden aus. Die dunkelhaarige 22jährige Frau, die viel älter aussieht, als sie ist, kennt dieses Gefühl. Das Leben hat sie verpfuscht. Es ist ganz anders gekommen, als sie wollte. Vor ein paar Jahren kam sie mit großen Erwartungen nach München. In der Enge ihrer kleinen Heimatstadt Aibling hielt sie es nicht mehr aus. Von der Großstadt erwartete sie den Aufschwung, die Zukunft, den Glanz. Mit großen Hoffnungen und kleinem Gepäck traf sie vor vier Jahren hier ein.
    Und dann begegnete er ihr. Er war schlank und trug eine Reichswehruniform. Es war die Liebe auf den ersten Blick. Den zweiten hielt sie nicht mehr aus. Es warf sie nieder. Sie wurde krank. Ihre Ersparnisse waren weg. Jetzt mußte sie jede Arbeit annehmen. Das Mädchen, das einst eine Musterschülerin war, der die Lehrer eine große Zukunft vorausgesagt hatten, verdingte sich als Hausgehilfin. Keine Arbeit nach ihrem Geschmack. Kein Glanz. Keine Hoffnung. Keine Zukunft.
    Und dann kam der zweite. Er taugte nicht mehr als der erste. Und dann gewöhnte sie sich ab zu zählen. So lebte sie dahin. Zwischen Arbeit und Bummel, zwischen Gewöhnung und Ekel. Den Haushalt hatte sie längst an den Nagel gehängt, das Leben der Anständigen auch.
    Aber manchmal hielt sie es nicht mehr aus. Dann mußte sie unter Leute. Dann mußte sie in ein Lokal, mußte sich mit ihnen unterhalten. Ob sie sympathisch waren oder nicht, ob sie sie leiden mochte oder ob ihr vor ihnen ekelte.
    Sie wirft sich hastig einen Mantel über und geht über die Straße. Der Wirt kennt sie schon.
    »Na, Rosa«, sagt er, »ist es dir nicht zu kalt heute?«
    »Heute ist mir alles zuwider«, entgegnet sie.
    Sie trinkt einen Doppelten

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