Nachts wenn der Teufel kam
einen Lustmord vorzutäuschen, um den Verdacht von sich abzulenken. Dann sind Sie zum Bahnhof gegangen, haben so getan, als ob Sie Ihre Frau verfehlt hätten. Und dann haben Ihre Nerven versagt, und Sie haben sich besoffen. Und jetzt sind Sie sogar noch zu feige, ein Geständnis abzulegen.«
»Nein!« brüllt Fritz Mundt. Dann sackt er zusammen. Jeder Funke Energie hat ihn auf einmal verlassen.
Mit ein paar lapidaren Sätzen gehen die Akten über das weitere Schicksal des zu Unrecht verdächtigten Fritz Mundt hinweg. Nur ein paar gespenstische Zeilen weisen auf ein Geschick hin, das sich das Leben in einmaliger Grausamkeit ausgedacht hat.
In den Akten, die erst nach der Verhaftung Bruno Lüdkes angefertigt wurden, heißt es wörtlich:
»Der Verdacht der Täterschaft richtet sich sofort gegen den Ehemann, der seine Frau hoch in der Lebensversicherung versichert hatte. Die Ehefrau Mundt kam am Abend des 2. 4. 1941 von einer Reise zurück und hatte mit ihrem Mann verabredet, daß dieser sie vom Bahnhof Königswusterhausen abhole, um sie nach Hause zu geleiten. Die Eheleute aber hatten sich verfehlt, so daß Frau Mundt allein zu ihrer Wohnung nach Neue Mühle laufen wollte. Auf diesem Weg, der durch ein Waldstück führt, ist sie überfallen und getötet worden.«
Auch die Mordsache Käthe Mundt liegt auf dem Schreibtisch des Reichskriminalpolizeiamts. 42 Mordfälle sind es bis jetzt, alle irgendwie ähnlich, so ähnlich, daß sie einem Laien auffallen müßten. Aber noch zieht die Polizeizentrale keine Konsequenzen. Noch läßt man die örtlichen Behörden mit untauglichen Mitteln an dem Fall, der später zum ›Fall Bruno Lüdke‹ wird, herumbasteln. Noch entschließt man sich nicht zur Einsetzung einer Sonderkommission, zu einer Warnung, zu all jenen Maßnahmen, die ein Polizei-Aspirant schon in den ersten Stunden lernt.
Der Fall Bruno Lüdke geht in seiner entsetzlichen, folgerichtigen Rasanz weiter. Geht weiter mit Leid, Blut und Tränen.
Paul Umann ist ein tüchtiger Wirt. Zusammen mit seiner Frau Gertrud schaukelt er seinen Laden, die Gastwirtschaft ›Waldschänke‹, direkt am Bahnhof von Berlin-Grünau, durch die schlechten Zeiten hindurch. Heute, an diesem Abend, am Montag, dem 5. Mai 1941, kurz vor der Polizeistunde, sind nur noch ein paar Stammgäste bei ihm. Er hat sich erweichen lassen und eine Flasche Schnaps aus dem Keller geholt. Schnaps ist rar. Aber schließlich muß ein Wirt auch in schlechten Zeiten seinen Gästen etwas bieten können.
Vier Männer und drei Frauen sitzen in einer Ecke und erzählen sich Witze. Nach jeder Pointe kommt eine Lachsalve, und Paul Umann, der rundliche 48jährige Mann, lacht dröhnend mit. Lachen ist selten in dieser Zeit.
Die Sirenen haben Vorwarnung gegeben, aber der Luftalarm ist wieder abgeblasen worden.
Paul Umann entschließt sich, seinen Gästen noch eine Runde Schnaps zu spendieren. Jeden Augenblick werden die Wachtmeister vom Polizeirevier kommen und die Polizeistunde ansagen. Da öffnet sich die Tür; es kommt ein Gast in den Schankraum, den man hier bisher noch niemals sah: ein mittelgroßer, untersetzter Mann im dunklen, zerschlissenen Anzug. Er hat eine blaue Schirmmütze auf.
»Da komm' ick ja jerade recht«, sagt er, »jebt mir ooch wat zu saufen.«
Die Wirtin schenkt ein Glas Bier ein, stellt es vor ihn hin. Der neue Gast ist schon etwas angetrunken, und es ist ratsamer, ihm keinen Schnaps zu geben.
»Dolle Weiber habt ihr hier«, sagt der Mann im dunklen Anzug laut. Und dann torkelt er schon auf den Tisch mit den Stammgästen zu. Er klopft einer älteren Frau auf die Schulter. »Na, Kleene, machen wir zwee wat, heute? Haste keene Lust? Ick hätt' se schon.«
Der Mann, der gerade einen Witz erzählt, unterbricht sich. Alle schauen unwillig den Gast an.
»Na, tut doch nich so«, fährt der Eindringling fort, »ihr möchtet doch ooch janz jerne.«
»Halten Sie den Mund!« sagt einer der Gäste zu ihm.
»Halt selbst die Schnauze!«
»Wenn Sie sich nicht anständig benehmen, schauen Sie, daß Sie wieder hinauskommen«, mischt sich der Wirt ein.
»Ick mache, wat ick will.«
Paul Umann weiß, wie man mit unerwünschten, renitenten Gästen fertig wird. Wütend packt er den Mann im dunkelblauen Anzug, zerrt ihn zur Tür und wirft ihn auf die Straße.
Die Stammgäste lachen. Ein paar Minuten später kommen die Revierbeamten.
»Geht ja hoch her«, sagen sie, nehmen einen Schnaps, hören sich ein paar Witze an. »Herrschaften, allmählich müßt
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