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Nachts wenn der Teufel kam

Nachts wenn der Teufel kam

Titel: Nachts wenn der Teufel kam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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Nachprüfung zu den Akten gelegt. Als erste gibt sie Frau Weber zu Protokoll:
    »Wir saßen gemütlich zusammen«, sagt sie, »da kam ein Mann zur Tür herein. Wissen Sie, Herr Kommissar, ein ganz verwegener Bursche. Er wollte Schnaps, aber der Wirt gab ihm keinen mehr, weil er schon betrunken war.«
    »Und dann?« fragt Hardings.
    »Dann ist er pampig geworden. Er hat sich zu mir herabgebeugt und mich angepöbelt. Da packte ihn Herr Umann und warf ihn hinaus.«
    »Und der Mann war bestimmt betrunken?«
    »Darüber kann es keinen Zweifel geben. Diesem Kerl würde ich alles zutrauen.«
    Der Kriminalkommissar schreibt den Satz wörtlich in das Protokoll, aber seine Gedanken sind bereits woanders. Diese Aussage legt er weg, noch bevor er über sie nachdenkt. Lohnt sich nicht. Betrunkene wirft man jeden Tag aus Wirtshäusern. Aber deshalb brauchen niemals zwei Menschen zu sterben. Betrunkene versuchen es in der nächsten Wirtschaft wieder, torkeln weiter durch die Nacht und landen hinter einer Mülltonne oder im Polizeirevier.
    Das Tempo der Ermittlungen läßt automatisch nach, als der Erfolg ausbleibt. Wenn es auch niemand zugibt: Über den schaurigen Doppelmord in der ›Waldschänke‹ gegenüber dem Bahnhof Berlin-Grünau beginnt Gras zu wachsen.
    Etwa 24 Stunden nach dem Doppelmord von Grünau ist die Familie Lüdke in Köpenick wieder einmal außer Rand und Band. Bruno ist verschwunden. Seit Tagen treibt er sich wieder umher, und niemand weiß, ob er in ein paar Stunden oder erst in ein paar Wochen zurückkommen wird.
    »Mutter, wir müssen jetzt endlich etwas wegen Bruno unternehmen«, sagt Frau M. die Schwester Brunos. »Es wird immer schlimmer mit ihm. Wir können ihn nicht mehr länger herumstreunen lassen.«
    »Ich weiß, Herta. Aber ich kann ihn doch nicht einfach einsperren. Wir haben das doch schon probiert. Wenn wir die Tür verriegeln, springt er zum Fenster hinaus. Ich kann mir nicht mehr helfen. Du weißt doch, was mit ihm geschieht, wenn ich zu den Behörden gehe. Wer garantiert uns, daß er nicht umgebracht wird?«
    Die alte blasse Frau ist verstört und ganz hilflos. Sie ist gezeichnet von den ständigen Sorgen um Bruno. Tagelang, nächtelang, wochenlang plagt sie nur ein Gedanke: Was treibt Bruno? Was stellt er wieder an? Was wird die Polizei mit ihm anfangen, wenn sie ihn erneut aufgreift?
    »Mutter, ich wollte es dir nicht sagen, aber ich habe neulich etwas gesehen, was mich auf den Tod erschreckt hat. Ich bin zufällig in dein Schlafzimmer gegangen. Bruno war drin. Er hat mich nicht gehört. Weißt du, was los war?«
    Die bleiche Frau wird noch bleicher. Ein paar Sekunden lang fasst sie sich mit den Händen an den Kopf, als ob sie sich die Ohren zuhalten wollte.
    »Bruno stand vor dem Spiegel. Und stell dir vor, er hatte ein Kleid von dir an. Das braune Wollkleid und Damenstrümpfe. Und Stöckelschuhe, die ihm viel zu klein waren. Er bemerkte mich nicht. Er hat Grimassen geschnitten, ist ein paar Schritte vor dem Spiegel hin und her gegangen, hat die Faust geballt, als ob er sich selbst drohen wollte … Mutter, das ist doch nicht mehr normal. Stell dir vor, wenn er so auf die Straße geht, was dann passiert. Wir müssen doch etwas tun.«
    Frau Lüdke weint lautlos. Vielleicht hat sie Bruno selbst schon einmal bei diesen verrückten Zwischenfällen überrascht. Vielleicht weiß sie viel mehr als alle anderen. Eine Mutter weiß immer am besten, wie es um ihren Sohn steht. Eine Mutter ist nur zu leicht geneigt, die unwissende Komplicin ihres Kindes zu werden.
    »Weißt du eigentlich, was er in seinem Schrank hat?« fragt die Schwester weiter.
    »Nein.«
    »Früher hat er nie etwas eingesperrt. Seit einem halben Jahr aber ist der Schrank immer verschlossen. Wir müssen ihn aufbrechen und nachsehen. Wir müssen wissen, was da los ist.«
    »Wir können doch keinen Schlosser holen.«
    »Dazu brauchen wir keinen. Es ist ein ganz einfaches Schloß. Man kann es mit einem Kleiderhaken aufmachen. Komm, wir probieren es.«
    Die Mutter schweigt. Aber die junge, resolute Frau M. nimmt einen Kleiderbügel in die Hand und geht in Brunos Zimmer. Sie arbeitet lange Zeit erfolglos an dem Schloß herum. Endlich gibt es nach. Jetzt zögert Brunos Schwester eine Sekunde. Dann reißt sie die Tür auf.
    Sie lacht.
    Fast hysterisch lacht sie. Dann vergeht ihr das Lachen. Sie beugt sich in den halbleeren Schrank hinunter und kramt ihre Entdeckung hervor: drei Damenschuhe. Jeweils der linke Schuh verschiedener Paare,

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