Nachts wenn der Teufel kam
andere. Gerade in den ersten Jahren kriselt es manchmal, bis sich die jungen Leute aneinander gewöhnt oder auch auseinander gelebt haben.
Frau Mundt ist an den letzten Häusern des Städtchens vorbei. Hier, auf dem freien Gelände vor dem Wäldchen, scheint der Nebel noch dichter zu sein. Manchmal muß sie stehen bleiben, um sich zu orientieren und nicht vom Weg abzukommen. Manchmal hört sie Schritte. Aber wie weiß im gleichen Augenblick, daß sie sich täuscht. Diese Milchsuppe gaukelt nur zu gern Schreckbilder vor.
Dann hört sie wirklich Schritte, und sie sieht einen Schatten, der ihr langsam, fast behäbig entgegenkommt.
Das muß Fritz sein, denkt sie und geht rufend auf den Schatten zu.
Um neun Uhr wird Fritz Mundt, der Buchhalter, von seinem Arbeitsplatz weggerufen. Ganz plötzlich. Niemand will mit der Polizei etwas zu tun haben. Und der lange, hagere Mann, der seinen Gestellungsbefehl schon in der Tasche hat, verfärbt sich, als ihn die beiden Beamten in barschem Ton zum Mitkommen auffordern.
Sie setzen ihn in einen alten Mercedes. Der Wagen fährt in Richtung Neue Mühle. In der Mitte des Wäldchens hält er.
»Steigen Sie aus«, sagt einer der beiden Beamten.
»Um Gottes willen, was ist denn los?« fragt der Buchhalter.
»Das werden Sie gleich sehen.«
Das Gehen fällt Fritz Mundt schwer. Noch weiß er nicht, was ihm bevorsteht. Aber etwas von diesem unendlichen Grauen, von diesem fassungslosen Entsetzen überkommt ihn plötzlich. Er will stehen bleiben, aber die beiden unfreundlichen Beamten treiben ihn vorwärts. Immer mehr in den Wald hinein. Dreißig, vierzig, fünfzig Meter. Fritz Mundt stolpert, rafft sich wieder auf, setzt mechanisch Fuß vor Fuß. Sechs, sieben Personen stehen in etwa fünfzig Meter Entfernung in einem Halbkreis und starren auf den Boden.
»Was ist denn los?« fragt Fritz Mundt wieder.
Keiner der beiden Beamten gibt ihm eine Antwort.
Er nähert sich langsam der Gruppe. Und das Grauen wird immer stärker. Aber er muß weitergehen. Und er muß in die Gesichter der Leute starren, die ihm entgegenlauern. Die Männer treten zur Seite.
Er ist mit dem Etwas konfrontiert, das auf dem Boden liegt und mit einer verwaschenen Plane zugedeckt ist.
»Sie sind Fritz Mundt?« fragt einer der Männer aus der Gruppe.
» Ja .«
»Inspektor Schmiedel«, stellt sich der Mann vor, »Kriminalpolizei.« Er gibt einem seiner Assistenten einen Wink.
Die Plane wird langsam weggezogen.
»Nein! Nein! Nein!« schreit Fritz Mundt. In ein paar Sekunden verfällt sein Gesicht, sackt seine schlanke, große Gestalt zusammen. Er verliert das Bewußtsein.
Als er wieder zu sich kommt, wirkt sein Gesicht immer noch verstört. Einer der Beamten hält ihm einen Becher mit lauwarmen Tee hin. Pfefferminztee.
»Ihre Frau?« fragt der Inspektor.
Der Buchhalter nickt.
»Wann haben Sie sie zuletzt gesehen?«
»Vor fünf Tagen. Sie ist zu Verwandten aufs Land gefahren, um etwas Essen zu besorgen. Gestern abend sollte sie zurückkommen.«
»Sie ist auch gestern abend zurückgekommen«, entgegnet Inspektor Schmiedel.
»Können Sie sie nicht zudecken?« stöhnt Mundt. »Ich kann das nicht länger sehen. Meine Frau …«
»Wir sind gleich hier fertig und fahren dann in das Polizeiamt zurück.«
Sehr viel Mitgefühl scheint der kleine, völlig unbeteiligt wirkende Inspektor Schmiedel mit dem Mann der Toten nicht zu haben. Er gibt halblaut seine Anweisungen. Der unbeschreibliche Anblick der Toten berührt ihn nicht.
»Gehen wir«, sagt er nach einiger Zeit.
Im Vernehmungszimmer sitzt er wieder Fritz Mundt gegenüber, dem Mann, der keinen klaren Gedanken fassen kann, dem das Sprechen schwer fällt, der das Geschehen hundert Meter neben dem Waldweg nicht begreift.
»Warum haben Sie Ihre Frau nicht am Bahnhof abgeholt?«
»Ich habe sie verfehlt.«
»Sie waren also am Bahnhof?«
» Ja .«
»Wann?«
Fritz Mundt stöhnt.
»Ich bin schuld«, sagt er. »Ich bin schuld.« Langsam, schleppend, weinerlich kommen seine Worte. »Ich habe mich in der Zeit geirrt. Um eine halbe Stunde. Ich habe gedacht, der Zug käme so gegen 22 Uhr. Um diese Zeit war ich am Bahnhof. Ich bin dann sofort in meine Wohnung zurückgelaufen. Daß meine Frau nicht da war, hat mich nicht beunruhigt. Ich dachte eben, daß sie einen Tag später kommen würde. Sie ist manchmal länger ausgeblieben.«
Der Inspektor nickt.
»Und was haben Sie dann gemacht?«
»Ich bin in die Wirtschaft gegangen und habe ein paar Schnäpse
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